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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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menschlichen Wesen hätten sie diese Aufnahmen gar nicht machen können. Es gibt Kameraeinstellungen von rechts, von links, von oben, von unten und interessanterweise sogar von innen!
    »Los, ab ins Bett, aber sofort! Soviel Sexualkunde bekommt ihr in der Schule nicht mal im ganzen Jahr!«
    »Vater, ich bin ja schon alt genug, aber das war wirklich nicht richtig von dir, dass du unserer armen, unschuldigen Hatice diese sündhaften Programme zugemutet hast«, ruft Mehmet hinterhältig, während er in sein Zimmer trottet.
    »Mehmet, ich bin schon sechs! Ich weiß genauso viel wie du!«
    ruft Hatice.
    Da klingelt es plötzlich an der Tür.
    Zum zwölften Mal in dieser Woche ist Rüdiger gekommen, um uns in diesen miesen Zeiten mit seinem Dackel zur Seite zu stehen. Also nicht erst seit dieser ärgerlichen Asylgeschichte, er kommt schon seit Wochen. Um seine Solidarität zu zeigen, hat sich Rüdiger die Haare schwarz gefärbt und einen dicken Schnurrbart angeklebt. Außerdem trägt er einen großen Aufkleber auf der Jacke, auf dem steht: »Ich heiße Mohammed!«. Ich umarme unseren Mohammed-Rüdiger leidenschaftlich.
    »Ooooh, Rüdiger«, rufe ich, »du repräsentierst den guten und freundlichen Deutschen. Eine Rasse, die vom Aussterben bedroht ist. Du bist ganz anders als der »hässliche Deutsche«!«
    »Osman, wenn du dein hässliches Gesicht als Maßstab nimmst, dann sieht doch jeder besser aus«, sagt meine Frau zynisch auf türkisch.
    Zur Begrüßung küsse ich Mohammed-Rüdiger auf die mit Klebstoff verschmierten Wangen.
    »Geht diese verdammte Knutscherei schon wieder los«, keift meine Frau, »bei Allah, Osman, was sollen die Leute nur denken? Die ganze Nachbarschaft lästert schon über euch beide.
    Ich kann diese vielen Fragen auf der Straße nicht mehr hören, ob du jetzt wirklich schwul geworden bist!«
    »Frau, du wirst doch wohl deinen Ehemann zu verteidigen wissen, schließlich sind wir seit 33 Jahren verheiratet.«
    »Genau, Osman, weil ich dich seit 33 Jahren kenne, sage ich den Menschen: »Leute, ihr habt ja so recht«.«
    »Komm, Rüdiger, wir gehen raus. Dieser Pöbel hat deine tapfere Solidarität nicht verdient!«

    »Gute Freunde erkennt man in schlechten Zeiten«, sagt ein türkisches Sprichwort. Und Rüdiger ist ein wahrhaft guter Freund, das hat sich in diesen schlechten Zeiten herausgestellt.
    Der Rüdiger ist schon lange mein Nachbar, er wohnt mit seiner Wohngemeinschaft nur drei Häuser weiter die Straße runter. Ich muss zugeben, früher hat er uns eigentlich nie besucht. Aber seit diesen schrecklichen Angriffen auf die ausländischen Mitbürger zeigt er sich doch sehr betroffen. Bei Allah, in letzter Zeit hasse ich dieses Wort »betroffen«. Dieses arme, hilflose Wort ist zu einer hohlen, heuchlerischen Politiker-Phrase verkommen. Zur Zeit wird es von jedem Politiker mindestens dreimal täglich brutal missbraucht. Hinter diesem Wörtchen verstecken sie sich, wenn sie nichts Konkretes sagen wollen oder können.
    »Es wurden wieder Molotowcocktails geworfen, was sagen Sie dazu?«
    »Ich bin tief betroffen!«
    »Es wurden drei Menschen verbrannt!«
    »Ich bin tief betroffen!«
    »Der hässliche Deutsche ist wieder auferstanden!«
    »Ich hin tief betroffen!«
    »Meine Oma hat Fußpilz!«
    »Ich bin tief betroffen!«
    Rüdiger, sein Dackel und ich, wir treten zu dritt auf die Straße.
    »Rüdiger, wenn du heute Abend etwas früher gekommen wärst, dann hättest du mir viele peinliche Momente vor dem Fernseher ersparen können«, sage ich.
    Die Freunde und Bekannten, die wir unterwegs treffen, wissen Rüdigers selbstlosen Einsatz für die ausländischen Bürger zu schätzen. Sie klopfen ihm auf die Schulter und kleben seinen verrutschten Schnurrbart wieder gerade.
    »Guten Tag«, ruft der junge Deutsche, der uns
    entgegenkommt. Nein, die gute Minderheit der Deutschen ist noch nicht völlig ausgestorben. Ich schöpfe wieder Hoffnung für das vereinigte Deutschland.
    »Guten Tag, mein Herr«, grüße ich den jungen Mann höflich.
    »Ich habe nicht dich gemeint, sondern nur den deutschen Hund!«
    Meine gute Laune und meine ganze Hoffnung für Deutschland sind sogleich wieder verflogen.
    »So, wie du drauf bist, kann ich mir gut vorstellen, dass du nur von Hunden gegrüßt wirst«, zische ich ihn an, »aber erst mal muss ich den Dackel fragen, ob er das überhaupt will. Der lässt sich auch nicht von jedem Penner grüßen! »
    »Komm, lass uns weitergehen. Dem Kerl würde ich nicht mal ans Bein

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