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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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betroffen ist, dann hören sie in der Regel nach genau zwei Stunden von selbst wieder auf.
    Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Herzmuskel diesen Test überlebt hat!«
    Ein unglaublich lauter Katzenschrei aus dem Nebenzimmer zerreißt mir fast das Trommelfell. Im gleiche n Moment bekomme ich so starke Magenkrämpfe, als hätte mir Mohammed Ali in seinen besten Jahren zwei Treffer hintereinander verpasst. Ich krümme mich wie ein Wurm und stürze auf den Betonboden. Die unerträglich gequälten Schreie meiner Nachbarin bohren sic h immer tiefer in mein Hirn. Mein Herz tut mir unheimlich weh, so als würde es gleich platzen. Ich hab’ das Gefühl, als hätte sich das gesamte Blut aus dem Körper im Herz zusammengestaut und irgend jemand hat die Ausgangsadern abgebunden. Die nicht enden wollenden Schreie meiner Schicksalsgenossin aus dem Nebenzimmer füllen mein ganzes Hirn aus und haben sich auf Dauer in meinem Kopf qualvoll eingenistet. Zusätzlich höre ich diese ohnehin schrecklichen Töne jetzt mit mehrfachem Echo. Als sich dann noch alles um mich herum zu drehen beginnt, habe ich überhaupt keine Kontrolle mehr über meinen Körper und schlage mit dem Kopf auf den Boden. Ich spüre, wie der Arzt mehrfach versucht, mich zum Bett zu schleifen, um mich hinzulegen. Da, wo mein Kopf eben noch auf den harten Betonhoden schlug, hatte ich für Sekundenbruchteile keine Schmerzen. Oder die Schmerzen, die ich bei dem Aufprall verspürte, ließen mich die anderen für einen Moment vergessen.
    Ich schlage mit dem Kopf unaufhörlich gegen die Wand, um die Herzkrämpfe nicht wahrzunehmen. Bei jedem Schlag vertieft sich der grässliche Katzenschrei, der von meinem Gehirn Besitz ergriffen hat.
    Als die Zellenwand völlig mit Blut beschmiert ist, versucht mich der Arzt vergeblich auf dem Bett festzubinden. All das Blut, das von meinem Gesicht über mein Hemd bis zu meiner Hose runterläuft, erleichtert mich unheimlich. Ich habe das Gefühl, je mehr Blut ich verliere, umso mehr Druck entweicht meinem Herzen. Jede Sekunde warte ich sehnsüchtig darauf, dass meine Adern endlich platzen und diese unerträglichen Qualen ein Ende finden.
    Zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich plötzlich die Sprache der Tiere. Ich weiß genau, was die gemarterte Katze schreit. Ich spüre, welche Schmerzen sie erleiden muss. Sie fleht: »Hört auf! Hört auf! Mein kleines Herz kann das nicht mehr ertragen! Was habe ich euch Menschen denn getan, dass ihr mich so quält? Hört doch endlich auf!«
    Ich schreie zusammen mit der Katze. Ich schreie vor Schmerzen fast lauter als sie! Diese kleine Katze in der Nachbarzelle, die absolut unschuldig zu Tode gefoltert wird, ist zur Zeit das einzige Geschöpf auf Erden, mit dem ich mich verbunden fühle. Ich bin ganz sicher, ihr geht es genauso. Meine Schreie sind für sie wahrscheinlich kaum erträglicher, als die ihren für mich! Ich sehe alles nur noch verschwommen. Alle möglichen Schmerzen aus meinem Körper haben sich zusammengetan, um mich wie eine immer größer werdende Lawine zu erdrücken. Ich fühle, wie mir schwarz vor Augen wird und ich langsam mein Bewusstsein verliere. Werde ich nur bewusstlos? Oder sterbe ich?
    Nur langsam komme ich wieder zu mir. Mühsam öffne ich die Augen. Mein erster Gedanke: Ich lebe ja doch noch! Ich kann meinen Körper nicht bewegen. Es kribbelt überall, als wären tausend Ameisen in mir! Und ich sehe alles doppelt. Aber als einer der beiden Ärzte zu sprechen beginnt, da weiß ich, dass ich keinen Sehfehler habe. Es sind zwei Ärzte in meiner Zelle.
    »Herzlichen Glückwunsch und gute Besserung. Sie haben den Test gut überstanden.«
    Ich blicke an mir herunter und sehe, dass meine Kleidung von oben bis unten voller Blut ist. Ich schaue mich lieber nicht an, damit mir nicht schlecht wird.
    »Herr Doktor, Herr Doktor, habe ich jetzt wirklich alles überstanden?« frage ich meinen bisherigen Arzt. Der andere, neu dazugekommene Arzt schaut seinen Kollegen irritiert an.
    »Aber ich habe doch niemals behauptet, ein Doktor zu sein«, stottert mein Arzt. »Ich bin hier nur der Hausmeister von der zweiten Etage.«
    »Und dann dürfen Sie mir solche Spritzen geben?«
    »Wieso? Da verpassen sich doch die meisten Fixer in irgendeinem Bahnhofsklo noch ganz andere Dinger!«

    »Aber das Fachchinesisch vorhin, mit den ganzen Nebenwirkungen?«
    »Reine Routine. Den Text habe ich schon mindestens hundert Mal ohne zu Stottern runtergerasselt.«
    »Nummer 267«, mischt sich

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