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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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bloß machen? Ich kann ihm doch nicht die 50-Zentimeter-Spritze wegnehmen und ...
    »Aauuuuaaaa!! »
    Wie kann denn eine einzige Spritze, auch wenn sie 50
    Zentimeter lang ist, so höllisch weh tun? Ich drehe meinen Kopf nach hinten und betrachte die Katastrophe in voller Lebensgröße: »Osman am Spieß«. Jetzt fehlen nur noch ein paar Tomaten, Paprika und Zwiebeln drum herum.
    »Sagen Sie mal, das war doch jetzt das gefährlichste Medikament, dass Sie auf Lager hatten, nicht wahr?«
    »Ja, ein Herzmittel aus Stufe sieben. So wollten Sie es doch haben. Das finde ich richtig gut von Ihnen. Einen so tapferen Kerl wie Sie habe ich hier schon lange nicht mehr gesehen. Dass Sie sogar die ganze Zeit Witze darüber gerissen haben, finde ich echt toll. Unglaublich, wie mutig diese Ausländer sind!«
    »Aber ich bin doch gar kein richtiger Ausländer mehr. Ich lebe schon seit 30 Jahren in Deutschland!«
    Ooh, Allah, ich hoffe nur, dass ich hier lebend rauskomme.
    Wie heißt es doch so schön: Es gibt immer noch was Schlimmeres! Jetzt erscheint mir sogar unsere Abschiebung vergleichsweise harmlos! Im gleichen Moment höre ich einen herzzerreißenden Schrei aus dem Nebenzimmer. Der Schmerz in dieser Stimme lässt mein Blut in den Adern gerinnen. Woher kenne ich nur diese Stimme? Das ist Hatice, meine jüngste Tochter! Was machen die Kerle mit ihr im Nebenzimmer?!
    »Was war das? Was geht da drüben vor sich? Wer schreit drüben um sein Leben?«
    »Ach nichts, schon gut. Das ist nur eine Laborkatze. Die hat genau das gleiche Medikament bekommen wie Sie auch. Ich sagte Ihnen doch, die Ausländer sind viel mutiger!«
    Gott sei dank, es ist nicht meine Hatice! Jetzt höre ich auch, dass es eine Katze ist. Ich weiß, wie Katzen jaulen, wenn man ihnen versehentlich auf den Schwanz tritt. Die Katze da drüben schreit aber tausendmal herzzerreißender, so als würde man ihr bei lebend igem Leibe das Fell abziehen.
    »Sagen Sie mal, was hat dieses Zeug eigentlich für Nebenwirkungen?« frage ich geschockt.
    »Es könnte sein, dass ein Ausfall von Myokardfasern und beider Perikardblätter sowie Arrhythmien aufkommen. Bei schweren Bradykardien, ve ntrikulären Tachydardien, hypertrophisch obstruktiver Kardiomyopathie und Verdacht auf Digitalisintoxikation sind Herzglykoside kontraindiziert.
    Physiologische Sinusarrhythmien, supraventrikuläre Extra-systalen sowie supraventrikuläre paroxysmale Tachykardien könnten auch auftreten. Vereinzelt sieht man auch Ataxie, Tremor, Agranulozytose, cholestratischen Ikterus bei Nifedipin Applikation. Leider ist bei Antiarrhythma die Gefahr von Bradykardie sehr erhöht!«
    Ich muss meiner Frau wohl oder übel erneut recht geben. Nach 30 Jahren kann ich immer noch kein Deutsch. Ich habe nichts verstanden. Wesentlich schwieriger stelle ich mir einen Dialog mit Mao Tse-Tung in seiner Muttersprache über die Diktatur des Proletariats in der Volksdemokratie auch nicht vor. Zumal er schon seit einiger Zeit tot ist. Aber bei einem Medikament mit so vielen Nebenwirkungen bin ich wahrscheinlich schneller bei Mao, Lenin, Napoleon und meinem kürzlich verstorbenen Nachbarn, dem Gemüsehändler Selim, als mir lieb ist!

    »Hat dieses schreckliche Zeug denn gar keine
    Nebenwirkungen, die auch ein einfacher ausländischer Arbeiter kriegen kann?«
    »Doch, doch, da haben wir schon was für Sie: Kopfschmerzen, Durchfall, Allergien, Sehstörungen, Benommenheit und Magen-Darm-Beschwerden. Es kann auch zu Erstickungsanfällen und Kreislaufschocks kommen, die vereinzelt auch zum Tode führen können. Wie gesagt, in dem Fall übernehmen wir
    selbstverständlich die Beerdigungskosten. Das Schöne an der Sache ist, Haarausfall kommt bei Ihnen als Nebenwirkung nicht in Frage, weil Sie glücklicherweise ja gar keine Haare mehr haben.«
    »Ich habe einen Vorschlag: Wenn ihr bei euren Medikamenten alle Nebenwirkungen auf einen Schlag los sein wollt, dann testet das Zeug doch an einem Toten! Ich sehe erst seit zwei Tagen so aus!«
    »Nein, das geht nicht! Denn im Gegensatz zur Autoindustrie müssen die Dummys bei uns noch etwas lebendig sein, so schreibt es das Gesetz vor. Abgesehen davon, müssen die von mir genannten Nebenwirkungen nicht alle zusammen auftreten.
    Das hat auch was mit der verabreichten Dosis zu tun.
    Herzmedikamente haben interessanterweise eine sehr geringe therapeutische Breite. Bereits eine kleine Überdosierung kann tödliche Folgen haben. Falls man aber von einer oder mehreren dieser Nebenwirkungen

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