Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
zum angekippten Fenster, durch das die ersten Strahlen der Nachmittagssonne wie durch ein Brennglas drangen. »Wo ist eigentlich die Pflanze?«
»Hab ich mit nach Hause genommen«, sagte Island. »Hier gießt sie ja keiner, wenn du nicht da bist.«
»Olgas neuer Nestbautrieb!« Ihre jüngere Kollegin Henna Franzen bugsierte zwei Bürostuhle zur Tür herein und schob Island einen davon hin.
»Klar, die Hormone«, sagte die, setzte sich aber dankbar.
Sobald Thoralf Bruns und Jan Dutzen das Zimmer betreten hatten, verstummten die Gespräche.
»Den Hafenbereich um das Terminal haben wir trotz mehrfacher Nachfrage vonseiten der Reederei bislang noch nicht freigeben können«, sagte Bruns mit Bedauern. »Die Spezialisten vom LKA untersuchen noch, wann, wie und in welchen Mengen das Toluol ausgelaufen ist. Wir hoffen, dass die Fähre gegen achtzehn Uhr ablegen kann.«
Die Pressesprecherin Susanne Kretsch, eine Frau von dreißig Jahren mit hellblonden, ordentlich gekämmten Haaren, nickte und machte sich Notizen.
»Gibt es inzwischen Erkenntnisse, ob das Ventil am Gefahrgutcontainer defekt war?«, fragte sie.
»Es sieht leider so aus, als habe sich jemand mit Werkzeug daran zu schaffen gemacht«, antwortete Bruns.
»Sabotage?« Karen Nissen klang entsetzt.
Bruns machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Das versuchen wir gerade noch herauszufinden. Der Lkw, der den Tank transportierte, kam aus Brunsbüttel. Dort wurde er auf dem Gelände der Firma Pantolon-Chemie beladen. Pantolon ist eine Import- und Exportfirma, die chemische Stoffe umschlägt. Die meisten ihrer Chemikalien werden per Schiff in Brunsbüttel angelandet. Im dortigen Werk werden die Substanzen in Transportbehälter umgefüllt, um sie auf Schiene oder Straße weiterzubefördern. Die Kripo Stormarn ist mit der Staatsanwaltschaft vor Ort und durchsucht den Betrieb. Bisher soll es dort keine Unregelmäßigkeiten gegeben haben. Wir fahren heute auch noch rüber und sehen uns die Verladepraxis genauer an.«
Die Zuhörer nickten. Die rotwangige Karen Nissen fächelte sich mit ihrem Notizbuch Luft zu.
»Kommen wir zu unseren aktuellen Aufgaben«, fuhr Bruns fort. »Seit heute Morgen haben wir es mit drei Toten zu tun. Dazu kann uns Jan Dutzen etwas sagen.«
Dutzen stand auf und trat vor das Flipchart. Seine Haare waren sommerblond, strandblond, weizenblond. Ganz so, als würde er immer nach Feierabend schwimmen gehen, in der Ostsee oder drüben in Katzheide, dem Freibad auf dem Ostufer. Island fiel ein, dass sie ihn außerhalb ihres Dienstes noch nie zufällig irgendwo getroffen hatte. Ihre Interessen und Aktivitäten waren wohl zu verschieden. Sollte sie ihn mal fragen, ob er Lust hätte, mit ihr schwimmen zu gehen? Schon der Gedanke daran brachte ihren Herzschlag aus dem Takt.
Dutzen nahm einen Stift und schrieb drei Namen auf den obersten Bogen des Flipcharts: Xaver Breuer, Knut Gebbert, Carlos Petruschki.
»Die Obduktion hat vorläufig Folgendes ergeben«, begann er. »Xaver Breuer, achtunddreißig Jahre alt, Fahrer der Firma Pantolon, wohnhaft in Wedel, war mit dem Gefahrguttransporter der Firma Cargo Tramp unterwegs von Brunsbüttel via Finnland nach Russland. Vermutlich wurde ihm mit dem Griff eines recht großen, massiven Eiskratzers, den wir in der Nähe seiner Leiche gefunden haben, der Schädel eingeschlagen. Die beiden anderen Toten sind Knut Gebbert, einundzwanzig Jahre alt, Mathestudent und bei der Fährlinie als Einweiser tätig, aus Kiel, und Carlos Petruschki, einundfünfzig Jahre alt, Lkw-Fahrer aus Danzig, unterwegs über Finnland nach Russland mit tiefgefrorenen Schweinehälften. Die beiden haben bis auf geringfügige Hämatome keine offensichtlichen Verletzungen. Sehr wahrscheinlich, aber noch nicht abschließend nachgewiesen, befindet sich eine hohe Konzentration des ausgelaufenen Giftes im Blut. Vermutlich haben sie es über die Atemwege aufgenommen, in geringeren Mengen mag es auch über die Haut in den Körper eingedrungen sein. Alle drei waren bei der Prügelei in der Pfütze mit der ausgelaufenen Lösung ausgerutscht. Wir können davon ausgehen, dass es durch das Gift zu Atemlähmungen kam und sie in bewusstlosem Zustand erstickt sind.«
»Und die übrigen Verletzten?«, wollte Island wissen.
»In der Klinik wurden vier weitere Fahrer mit Gesundheitsproblemen behandelt. Sie sind vorläufig über den Berg. Langzeitschäden sind aber nicht ausgeschlossen.«
»Fieses Zeug.«
»Du sagst es.«
»Habt ihr etwa auch was
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