Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
Kollegin ihr zuwarf. Karen Nissen hatte selbst zwei Kinder auf die Welt gebracht, da konnte sie sich diese Mitleidsnummer doch eigentlich sparen. Freute sie sich etwa insgeheim, dass Island bald »eine Weile aussetzen« würde? Schließlich kursierte seit einiger Zeit das Gerücht, dass über kurz oder lang eine Planstelle bei der Mordkommission eingespart werden sollte. Hoffte Nissen gar, dass die Kollegin nach der Niederkunft gar nicht mehr in den Dienst zurückkehren würde? Oder gehörten solche Gedanken in den Bereich der Schwangerschaftsparanoia?
Die Praxis von Frau Dr. Markmann befand sich in der Innenstadt in der Nähe des Rathauses. Island ließ ihr Fahrrad an der Bezirkskriminalinspektion zurück und ging zu Fuß zum Kleinen Kiel hinunter. Im Wartezimmer war es trotz des geöffneten Fensters stickig. Draußen rauschte der Verkehr vorbei. Zwischen Wiegen, Blutdruckmessen und Urinprobe blätterte Island in einer Illustrierten und las einen Artikel über Schönheitsoperationen. Der Autor behauptete, dass jede Frau die Chance ergreifen sollte, durch eine gezielte Operation ihr Aussehen zu optimieren und das sichtbare Altern hinauszuzögern. Island schüttelte den Kopf über so viel Schwachsinn. Dann wurde sie endlich ins Sprechzimmer gerufen.
»Sie sehen mitgenommen aus«, sagte Frau Dr. Markmann zur Begrüßung.
»Mir geht’s gut«, erwiderte Island. »Nur manchmal bin ich etwas kurzatmig.«
Die Ärztin sah auf ihren Bildschirm. »Sie sind Kriminalbeamtin?«
»Seit zwanzig Jahren.«
»Und Sie arbeiten Vollzeit?«
»Jetzt im Sommer ist nicht so viel los …«
»Sie sollten daran denken, sich etwas mehr zu schonen. Gönnen Sie sich Ruhe und frische Luft. Und versuchen Sie doch bitte nicht ganz so viel zu essen. Sie werden die Pfunde später schlecht wieder los, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern.«
Wie soll das gehen bei dem Hunger?, dachte Island, sparte sich aber den Kommentar. Sie konnte einfach nicht an später denken. Im Moment gab es nur das Jetzt.
Nach der Ultraschalluntersuchung, während der Island glaubte, eine winzige Faust zu erkennen, die sich ihr entgegenreckte, sagte Frau Dr. Markmann: »Alles in bester Ordnung. Das Kind ist recht rege. Da ist nur eine Sache, um die Sie jetzt nicht mehr herumkommen.«
»Und die wäre?« Sie hatte überhaupt keine Lust auf weitere Untersuchungen ihres Körpers oder ihres Kindes. Am liebsten hätte sie jetzt geduscht, einen extragroßen Döner gegessen und ferngesehen.
»Ihre Füße schwellen an. Sie könnten leicht eine Thrombose bekommen. Deshalb müssen Sie von nun an bis zur Geburt Kompressionsstrümpfe tragen.«
»Was?«, fragte Island entsetzt. »Bei diesem Wetter?«
Täuschte sie sich, oder lächelte die Ärztin maliziös, während sie das Rezept ausschrieb? Kann sie sich sparen, dachte Island, so was ziehe ich nicht an.
Doch die Ärztin konnte offenbar Gedanken lesen.
»Denken Sie an Ihr Kind. Wenn Sie nicht kürzertreten, muss ich Sie krankschreiben.«
»Schon gut«, sagte Island. »Ich tue ja alles, was Sie wollen.«
Als sie das Sanitätsgeschäft verließ, in dem man ihre Beine vermessen und zur Anprobe in lachsfarbene Gummistrümpfe gezwängt hatte, fühlte Island sich wie durchs Wasser gezogen. In einer Tüte trug sie die hautfarbenen Strümpfe mit Spitzenbordüre, für die sie sich schließlich entschieden hatte. Von nun an würde sie nur noch in bodenlanger Kleidung zur Arbeit gehen können, so viel war klar. Stützstrümpfe im Hochsommer, dachte sie, was für eine Zumutung! Sie stellte sich bei der nächstgelegenen Eisbude an und verlangte drei Kugeln Zitroneneis. Das Eis verbesserte ihre Stimmung, und als sie die Bezirkskriminalinspektion erreicht hatte, hatte sie die Sache mit den Strümpfen auch schon fast wieder vergessen.
Im Flur der Mordkommission war es still wie in einer Kirche. Sie ging in ihr Büro und schaltete den PC ein. Auf der Schreibunterlage lag ein Zettel: »Ruf mich an. Gruß Hans-Hagen.«
Sie wählte Hansens Handynummer, aber es meldete sich niemand. Auf dem Flur waren Schritte zu hören, und Henna Franzen steckte den Kopf zur Tür herein.
»Du bist zurück? Alles in Ordnung mit dem Baby?«
»Bestens«, antwortete Island.
»Dutzen hat nach dir gefragt.«
»Warum?«
»Er interessiert sich für dich, schon gemerkt?«
Island schnaubte gereizt.
Franzen setzte sich ungefragt auf den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch. »Doch, wirklich«, sagte sie. »Er trinkt seit Monaten immer aus
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