Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
ranschmeißt. Du hast mir versprochen, dass das aufhört.‹ Und so weiter. Mensch, habe ich gedacht. So einen Dialog hätte ich mir nicht besser ausdenken können für mein neues Buch.«
»Wovon handelt es denn?«
»Von der Liebe«, sagte Frau Dormann und klimperte mit den Lidern. Doch schon bekamen ihre Augen einen gehässigen Glanz. »Mit Lissy war er übrigens auch schon ganz dicke, als ich ankam.«
»Lissy?«
»Lissy Heinke, das eine Stallmädchen. Irgendwie sehen sie ja alle gleich aus, diese jungen Dinger. Ich kann sie jedenfalls kaum unterscheiden. Besonders die aus dem Stall. Die arbeiten ja wirklich für sehr wenig Geld. Ostern oder Weihnachten werden sie mit einer großen Tüte Kekse oder einem Ausflug mit einer der Nobelkarossen aus Tüx’ Sammlung belohnt. Ansonsten sind die fürstlich im Mühlenhaus untergebracht, immer zu zweit in einer Kammer, und werden täglich mit teurem Ökoessen versorgt. Kost und Logis frei, nennt man das. Aber keins der Mädchen hat je darüber gemurrt. Anders die gute Lissy. Sie benahm sich geradezu prollig, sehr rebellisch jedenfalls und laut. Eine richtige kleine Aufrührerin. Knasti eben, das kennt man ja. Jeder, der auf den Hof kam, hat sie sofort kennengelernt. Sie war hundertfünfzig Prozent für die Pferde da, aber sie hatte so eine provokante Art, dass sie zwischen den anderen unangenehm auffiel.«
»Wo ist Lissy jetzt?«
Lotti Dormann zuckte mit den Achseln. »Schon ein paar Tage bevor Jon verschwand, war sie weg. Abgehauen. Keiner weiß, warum oder wohin. Wahrscheinlich taucht sie irgendwann wieder auf. Wie ein weggelaufener Hund, der dann wieder an der Tür kratzt.«
»Ist mit Lissy denn etwas vorgefallen?«
»Irgendwas war da mit dem Lieblingspferd von Frau Rubi-Tüx. Lissy hat es von der Weide geholt und ist mit Jon zusammen ausgeritten. Das hat Madame Stefanie tierisch aufgeregt. Sie hat den ganzen Reitplatz zusammengebrüllt, als die beiden zurückkamen. Angeblich hat das Pferd gelahmt. Mit ihren Pferden stellt die sich immer so an.«
»Und was waren das für junge Leute, die da vorhin auf der Terrasse des Herrenhauses herumgelungert haben?«
»Das sind Freunde von Paul-Walter. Er ist ja ein Einzelkind. Da darf er immer Schulfreunde einladen in den Ferien, damit er Gesellschaft hat. Eines der Mädchen ist seine Cousine Grit aus Kanada. Die anderen kenne ich nicht. Ich glaube, sie besuchen alle dasselbe Internat in der Schweiz.«
»Haben die denn Kontakt zu den Stallmädchen?«
»Nein. Wo denkst du hin?«
Das Boot glitt an Steinbrocken vorbei, die in der Uferböschung steckten. Sie sahen aus wie die Betontrümmer, die drüben bei den Spülfeldern lagen. Ein Stück weiter flussabwärts ragte ein massives graues Gebäude ins Wasser hinein. Es sah aus wie ein flacher Bunker, der sich zwischen die Pappeln am Ufer duckte, und war ganz mit Schlingknöterich bewachsen.
»Was ist das? Ein Rest aus Wehrmachtszeiten?«
»So etwas wird es wohl sein.«
Plötzlich schillerte die Wasseroberfläche in allen Farben. Ein Ölfilm waberte um die Seitenwände des Bunkers. Ein Teil des Öls war bereits bis ins Gras der Kanalböschung geschwappt. Ein schwacher Geruch nach Diesel lag in der Luft.
»Wird der Bunker noch benutzt?«, fragte Island.
»Bestimmt nicht«, sagte Frau Dormann. »Wozu denn auch?«
Auf einem überhängenden Weidenstamm sonnten sich Stockenten. Fritzi fing an zu kläffen, aber die Enten blieben ungerührt. Nachdem der Hund sich wieder beruhigt hatte, glitt das Kanu still dahin, bis hinter einer Biegung ein weiteres Bauwerk auftauchte.
»Voilà«, sagte Frau Dormann. »Die alte Schleuse.«
Baumstämme markierten die Einfahrt in die Schleusenkammer. Zwischen zwei Dalben aus Metall hing an einem quer über das Wasser gespannten Kabel ein rot-weißes Warnschild: Durchfahrt verboten . Ein Schild auf der gemauerten Uferböschung informierte darüber, dass die Schleuse Strohbrück aus Standsicherungsgründen vorübergehend geschlossen sei. Tatsächlich verbarrikadierte ein verrostetes Schleusentor die Weiterfahrt. Vor dem Tor trieben Blätter und Äste, Entenflott überzog das Wasser mit einer grünen Schicht. Seitlich der Schleuse, oberhalb der Böschung, stand ein Haus.
»Und wer wohnt da?«, fragte Island.
»Früher der Schleusenwärter mit seiner Familie. Heute steht das Haus leer. Eigentlich schade, dass nun alles verfällt.«
Island hatte den Druck auf ihrer Blase schon länger ignoriert, jetzt bot sich eine gute Gelegenheit, an Land zu
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