Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
arbeitsmäßig viel unterwegs, da sieht man sich nicht so häufig.«
»Das wird mit Kind nicht einfacher.«
»Tja.«
»Männer«, sagte Frau Dormann abfällig. »Damit bin ich zum Glück durch.«
»Echt?«
»Ja, eigentlich schon.«
»Eigentlich?«
Frau Dormann zog energisch das Paddel durchs Wasser. »Na ja, bei Jon hätte ich vielleicht eine Ausnahme gemacht.«
»Wieso denn?«
Lotti Dormann ließ das Paddel sinken und sah für einen Moment aus wie eine Indianerin, die sich entschlossen einem Wildwasserstrudel entgegentreiben ließ.
»Er hat sich interessiert. Man konnte sich richtig gut mit ihm unterhalten.«
»So, worüber denn?«
»Über das Schreiben zum Beispiel.«
»Noch ein Schriftsteller also?«, fragte Island und wunderte sich über die eigenartige Häufung außergewöhnlicher Leute in dem Öko-Urlaubsquartier.
»Nein, aber er wollte eine Familienchronik verfassen. Und ich habe versucht, ihm ein bisschen dabei zu helfen.«
»Wie denn?«
»Ich habe seinen Text Korrektur gelesen.«
»Und worüber hat er geschrieben?«
»Es ging um seine Vorfahren. Besonders um einen, der früher auf diesem Gutshof gelebt hat. Er hieß Gordon Pickering und war Jons Ururgroßvater. Er kam etwa zu der Zeit nach Europa, als das Gutshaus erbaut wurde, vielleicht im Jahr 1789. Diese Jahreszahl steht zumindest auf der Einfahrt des Torhauses.«
Island erinnerte sich und nickte.
»Um diese Zeit muss Gordon etwa sechs Jahre alt gewesen sein. Er war das Kind einer schwarzen Sklavin.«
»Was?«, fragte Island verwundert. »Von Leibeigenschaft in unserem Land habe ich schon mal gehört. Aber von Sklaverei?«
Frau Dormann paddelte weiter. Das Boot nahm Fahrt auf und trieb lautlos dahin. Weiße Schönwetterwolken spiegelten sich auf dem Wasser.
»Damals gab es den sogenannten Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika. Europäer wie der berühmt-berüchtigte dänische Staatsbeamte und holsteinische Gutsbesitzer Heinrich Carl Schimmelmann erwarben Plantagen in der Karibik. Man lieferte Waffen und Kattun nach Afrika, von wo aus man Tausende von Sklaven auf die Karibischen Inseln brachte. Dort ließ man sie auf den Zuckerrohrplantagen schuften. Der Import von Zucker und auch der daraus hergestellte Rum brachten den Plantagenbesitzern riesige Gewinne ein. Mit dem Geld konnten die Schimmelmänner, wenn ich sie mal so nennen darf, wiederum ihre Gutshöfe ausbauen. So ungefähr lief das.«
»Und was passierte mit Gordon Pickering?«
»Die Mutter von Gordon, Lila Pickering, stammte von der afrikanischen Goldküste, dem heutigen Ghana. Sie wurde in die Karibik verschleppt und musste als Sklavin auf der Insel St. Croix arbeiten. Gordon war noch ein Kleinkind, als sie starb. Der damalige Gutsbesitzer von Kreihorst hatte wie Schimmelmann einen großen Teil seines Vermögens im Karibikhandel verdient. Er brachte Gordon Pickering hierher, als exotischen Spielkameraden für seine Kinder und zur Belustigung seiner Familie. Mit fünfzehn Jahren hat Gordon Pickering das Gut verlassen. Er schlug sich als eine Art fahrender Schauspieler durchs Leben, hatte drei Kinder und starb mit zweiundvierzig Jahren in einem Armenhaus auf Fünen.«
»Harte Zeiten, damals«, sagte Island. »Hat Jon Theissen denn etwas Neues über seine Familie herausfinden können?«
»Ich glaube, es ging ihm nicht nur um seine eigenen Wurzeln, sondern auch darum, den heutigen Menschen diesen wenig rühmlichen Teil der Geschichte bewusst zu machen. Er hat mir von Leuten in Dänemark erzählt, die ein Kolonialmuseum oder zumindest die Errichtung eines Denkmals in Kopenhagen planen.« Frau Dormanns Gesichtsausdruck wurde sehr ernst. »Die Begeisterung für das Schreiben war jedenfalls etwas, was uns beide verband.«
»Hat Jon Dänisch gesprochen?«
»Sein Vater lebt in Dänemark. Jon ist aber bei seiner Mutter in Hamburg aufgewachsen.«
»War er zum ersten Mal auf Kreihorst?«
»Ich glaube, ja. Als ich ankam, war er schon ein paar Tage hier. Jedenfalls hatte er Frau von Dünen ganz schön um den Finger gewickelt.« Sie kicherte. »Sie hat ihm Kakao gekocht und morgens auf sein Zimmer gebracht.«
»Nicht schlecht.«
»Und einmal habe ich mitbekommen, dass sie sich wegen ihm mit ihrem Mann gestritten hat. Sehr laut, in der Küche. Ich lag nichts ahnend im Garten im Liegestuhl, da ging es los. ›Lass den Scheiß!‹, hat Peter von Dünen geschrien. ›Wir sind doch nicht von Hamburg weg, damit du dich gleich wieder an den ersten besten Mann
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