Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
linke Fahrspur auszuweichen.
Todesmutig, kopflos oder beides sprang Lissy auf die Fahrbahn, riss das Pferd an der Trense hoch und zog es auf den Seitenstreifen. Steif und verwirrt ließ sich das Islandpony zur Seite führen und schüttelte sich. Lissy schwang sich in den Sattel, stieß dem Tier die Hacken in den Bauch und ritt an Islands Wagen vorbei, dessen Notlichter noch immer rhythmisch blinkten. Dann galoppierte sie ohne Zügel die Rampe der Autobahnausfahrt hinauf.
Islands Hände zitterten, als sie zur Ausfahrt hinausfuhr, wo Lissy und das Pferd aus ihrem Blickfeld verschwunden waren. Sie erreichte die Landstraße und entdeckte Pferd und Reiterin auf einem kleinen Parkplatz an der Einfahrt zu einem Feldweg. Auf dem Parkplatz angekommen, beglückwünschte sie Lissy zu ihrer schnellen Reaktion. Aber die machte nur eine abwiegelnde Handbewegung.
Dann rief Olga Island bei den Besitzerinnen des Pferdes an und bat sie, das Tier baldmöglichst auf dem Parkplatz abzuholen. Kia Börks Stimme bebte, als sie sich nach dem Verbleib von Henna erkundigte. Doch leider konnte Island ihr nicht weiterhelfen.
Nach dem Telefonat stellte Island sich vor das Pferd und sah ihm in die Augen.
»Kannst du mir nicht erzählen, was passiert ist?«, fragte sie.
Das Tier war immer noch unruhig, sein struppiges Fell verschwitzt.
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann waren die beiden Frauen mit einem Pferdeanhänger da und luden das Tier ein, das sich allmählich beruhigt hatte.
Island stieg mit Lissy wieder ins Auto und informierte Bruns über den jüngsten Stand der Ereignisse. Im Gegenzug berichtete er ihr, dass er mit den Einsatzkräften vor Ort am Flemhuder See sei und die Suche von dort aus in Kürze starten würde. Gleich im Anschluss kam der lang ersehnte Anruf vom Ordnungsamt Kiel. Eine Mitarbeiterin erzählte, das Amt hätte alle Fotos, die in den betreffenden Nächten zwischen null und drei Uhr auf der Holtenauer Hochbrücke von Temposündern gemacht worden waren, im Intranet der Stadt mit Passwort zur Einsichtnahme für sie freigeschaltet.
»Können Sie mir sagen, ob ein Geländewagen mit Frankfurter Kennzeichen dabei ist?«
»Ein Frankfurter Kennzeichen? Moment. Das kann ich über die Bußgeldbescheide checken.« Sie hörte das Klacken der Tastatur. »Ich habe hier ein Frankfurter Kennzeichen, das in der von Ihnen genannten Zeitspanne zweimal erfasst worden ist.«
»Lassen Sie mich raten: Es ist ein cremefarbener Audi-Geländewagen?«
»Exakt, ein Q7. Als Halterin haben wir eine Frau Stefanie Rubi-Tüx ermittelt.«
»Bingo«, sagte Olga Island. »Können Sie mir sagen, wie die Person aussieht, die am Steuer sitzt? Ist es eine Frau?«
»Nein, das ist mit ziemlicher Sicherheit ein Mann.«
»Könnten Sie ihn mir beschreiben?«
»Auf den Fotos hat er helle Haare, aber von den Gesichtszügen her würde ich sagen, es ist vielleicht ein Farbiger.«
»Saß noch jemand im Wagen?«
»Nein, zumindest nicht auf dem Beifahrersitz.«
Island bedankte sich und legte auf.
»War Jon mit Stefanies Wagen unterwegs?«, fragte Lissy, die mit großen Ohren zugehört hatte.
»Könnte das sein?«
»Na, sicher. Sie hat ihn schon ab und zu ihren Wagen fahren lassen. Auch, wenn sie zum Tauchen gefahren sind.«
»Sie sind zusammen getaucht?«
»Ich hab manchmal gesehen, wie sie das Equipment eingeladen haben und weg sind. Die haben bestimmt nicht nur getaucht, sondern sich auch noch anders vergnügt.«
Schon von Weitem konnten sie die Mannschaftsbusse am Ortsausgang von Groß Nordsee sehen. Sie standen dort, wo die Dorfstraße zum Flemhuder See führt.
»Wow, sind das viele«, staunte Lissy, als Island langsam an ihnen vorbeifuhr. Die Polizei- und Rettungsfahrzeuge blockierten den Weg zum See, und sie kamen nur mühsam voran.
Der Polizeihubschrauber aus Hamburg war offenbar noch nicht eingetroffen. Island stützte sich auf ihren Regenschirm, als sie zusammen mit Lissy zum Bus der Einsatzleitung ging. Thoralf Bruns war in ein Gespräch mit dem Staffelführer des Suchtrupps vertieft. Die beiden starrten auf einen Bildschirm und waren damit beschäftigt, den Funk abzuhören.
»Und, schon irgendwas Neues?«, fragte Island.
»Nichts.«
»Das ist Lissy Heinke«, stellte Island ihre Begleiterin vor. »Sie kann wilde Pferde einfangen, und sie kennt sich auf den Spülfeldern aus.«
Thoralf Bruns runzelte die Stirn, bedeutete Lissy dann aber einzusteigen.
»Wo haben Sie denn schon überall gesucht?«, fragte die junge Frau, bevor Bruns
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