Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
sie leise.
Na also, dachte Island, geht doch. »Warum sind Sie von dort weggelaufen?«
Die junge Frau schwieg wieder hartnäckig.
Island kramte erneut in ihren Ablagefächern. Schließlich fand sie, was sie suchte.
»›Theodor Tüx – du Scheißkapitalist!‹«, las sie laut vor. »›Der Plastikmüll, den du produzierst, überschwemmt die Weltmeere. Millionen Seetiere sterben auf grausamste Weise an dem ganzen Plastikschrott in ihren Mägen. Oder sie verenden qualvoll durch Strangulation mit Plastikschnüren oder in alten Fischernetzen aus Kunststoff. Eines Tages wirst du dafür büßen. Und auch für alles, was auf deinem Gut passiert. Sei froh, dass niemand weiß, was da abgeht. Rache ist süß.‹ Haben Sie das geschrieben?«
Lissy Heinke bearbeitete den Ring in ihrer Unterlippe mit den Schneidezähnen.
Island wartete. Die Wärme des Nachmittags machte sie schläfrig.
Schließlich blickte das Mädchen auf und nickte. »Ich habe es nicht mehr ausgehalten.«
»Was denn?«
»Die ganzen Lügen. Diese Verlogenheit. Ja, ich bin von dort abgehauen. Und ja, ich habe das geschrieben und überall im Dorf verteilt. Aber es ist die Wahrheit. Tüx macht die Umwelt kaputt mit seinem Plastikscheiß. Und tut so, als wäre er der tolle Ökobauer, der noch dazu Straffälligen wie mir den Wiedereinstieg ins richtige Leben ermöglicht. Verdammter Bullshit.«
»Gab es einen besonderen Anlass, dass Sie das geschrieben haben?«
»Ich hatte die Schnauze voll.«
»Im letzten Jahr hatten Sie Ihre Ausbildung auch schon mal unterbrochen. Warum sind Sie damals wieder auf den Hof zurückgegangen?«
»Vielleicht, weil ich keine Alternative hatte?«
»Und jetzt?«
»Sieht es auch nicht besser aus. Aber ich werde schon was finden. Frau Lembke unterstützt mich dabei.«
»Frau Heinke, es gibt eine Sache, die ich dringend wissen muss. Eine Kollegin von mir ist gestern Abend über die Spülfelder geritten und seitdem verschollen. Haben Sie eine Idee, was mit ihr passiert sein kann?«
Lissy richtete sich auf. »Die Felder sind ein tückisches Gebiet. Es gibt dort Treibsände, in denen auch Pferde versinken können. Man muss sich auskennen, sonst geht man unter.«
»Und Sie kennen sich da aus?«
»Sure.« Sie lachte ein helles, unbeschwertes Jungmädchenlachen.
»Erzählen Sie mir bitte noch mehr über die Familie Tüx.«
Das Lachen verstummte. »Ätzend. So eine Familie möchte ich nicht haben.«
»Warum?«
»Wo soll ich da anfangen? Der Sohn, Paul-Walter, geht ja noch. Zwar ein bisschen verkopft, so ein Nerd eben. Aber der wird mal Knete haben ohne Ende. Das weiß er natürlich genau. Der wollte was von mir. Aber hey, ich bin zwanzig, er gerade mal achtzehn, voll das Kind. Hat mir tausend SMS geschickt jeden Tag. Ist aber nun mal nicht mein Typ. Das geht ja wohl gar nicht. Und dann diese ätzende Mutter und der schnöselige Vater.«
»Was ist mit der Mutter?«
»Zum Glück ist sie die meiste Zeit in Frankfurt und höchstens mal kurz in den Ferien da. Sonst regelt ja von Dünen alles, was mit den Pferden zu tun hat. Aber klar, wenn sie im Stall auftaucht, dann kommandiert sie uns natürlich herum. Die denkt wohl, das muss so sein, wenn man Geld hat. Da gewöhnt man sich aber dran, wenn man so einen Job hat wie ich. Diesmal war sie irgendwie noch schräger drauf als sonst.«
»Warum?«
»Es war wegen Jon. Seit er auf dem Hof aufgetaucht ist, hat sie angefangen zu hyperventilieren. Sie hat ihn beobachtet, ja, sie hat ihn regelrecht gestalkt. Dabei war er nur ein normaler Urlauber, oder? Okay, er sah gut aus. Das habe ich natürlich auch gleich mitgeschnitten. Wie alle anderen im Stall. Unsere erste Begegnung war aber nicht gerade toll. Er hat uns eines Abends beim Kiffen erwischt, Cord und mich. Das haben wir manchmal gemacht, ein bisschen chillen nach Feierabend, an der Mauer hinter der Gärtnerei. Cord hatte irgendwo was angebaut, und in diesem heißen Sommer ist das Zeug turbomäßig gewachsen. Jon ist eines Abends aufgetaucht, hat gelacht und gefragt, ob er was kaufen kann. Klar, er war ein paar Jahre älter, aber ich war von ihm dann doch schon etwas angeflasht. Wir sind manchmal zusammen mit den Pferden los, aber das fand die Chefin gar nicht lustig. Und dann wurde es auch immer deutlicher, dass Jon ihr Liebhaber war.«
»Warum sind Sie da so sicher?«
»Ich war mal mit Cord im Keller, weil er mir ein Tattoo machen wollte. Da haben wir die beiden gehört, in ihrem schicken Whirlpool, oben in ihrem Wellnessraum.
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