Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
irgendwas aufgefallen?«
»Die Autos stehen alle auf dem Hof, außer dem Wagen von Frau Rubi-Tüx.«
»Wann haben Sie die jungen Leute das letzte Mal gesehen?«
»Gestern Abend gegen halb elf. Sie haben Roulette gespielt und Musik gehört.«
Und um Mitternacht sind sie über die Terrasse gelaufen, dachte Island. In Richtung Kanal. Aber ihr fiel noch etwas anderes ein. »Haben Sie schon im Keller nachgesehen?«, fragte sie.
Frau Markowich schien zu zögern. »Habe ich. Sie wissen also über den Keller Bescheid?«
»Wenn Sie die Tätowierutensilien meinen, ja«, sagte Island.
»Es ist mir so schrecklich unangenehm«, jammerte die Hausdame.
»Erzählen Sie mir bitte trotzdem, was es damit auf sich hat!«
»Cord Petersen, der tote Stallknecht, der hat den ganzen jungen Leuten in diesem Sommer Tattoos gestochen. Ich habe ein Foto gesehen, das hat er da unten auf einem Regal bei den Poolsachen und seinem Laptop versteckt. Da sind sie alle drauf. Paul-Walter, Cyrano, Tom, Grit und Marthe. Und sie haben alle dasselbe Tattoo auf dem Oberarm.«
»Wie sieht es aus?«, wollte Island wissen. »Nein, warten Sie, ich kann es mir denken. Vasco Da Gama.«
»Ja, irgend so ein finster aussehender Männerkopf.« Die Stimme der Frau war nur noch ein heiseres Flüstern. »Es ist so schrecklich, dass sich die Kinder so haben verstümmeln lassen. Ich weiß nicht, wer es ihren Eltern erklären soll.«
»Ich glaube, erst mal ist es wichtiger, die Kinder zu finden«, sagte Island. »Und ich schicke jemanden vorbei, der den Laptop abholt.«
45
E s war Viertel nach drei. Island wollte gerade an den Flemhuder See aufbrechen, um bei der Suche nach Franzen zu helfen, da kam Bruns in ihr Büro.
»Wir fahren gleich los«, sagte er. »Könntest du bitte hierbleiben und eine wichtige Aufgabe übernehmen?«
»Aber ich wollte auch mit rausfahren.«
»Lissy Heinke ist auf dem Weg zu uns. Es wäre gut, wenn jemand sie so schnell wie möglich vernehmen könnte.«
»Wo war sie denn?«
»Wo du sie vermutet hattest, in Landwehr bei der Familie Lembke. Die Streife hat sie auf dem Dachboden über dem Stall aufgespürt.«
»Aber die Streifenkollegen sollten doch schon heute Morgen zu den Lembkes fahren. Warum bringen sie sie dann erst jetzt?«
»Ein Missverständnis. Sie hatten das Mädchen erst mal mit auf die Wache genommen. Es hat etwas gedauert, bis geklärt war, was sie mit ihr machen sollten. Sie weigert sich nämlich, mit irgendwem zu reden.«
Island seufzte und nickte. »Gut, ich übernehme das. Ist sie schon unten im Vernehmungszimmer?«
»Seit einer Viertelstunde.«
»Dann tu mir den Gefallen, und lass sie in mein Büro bringen. Die Atmosphäre im Keller macht einen nicht auskunftsfreudiger.«
Die junge Frau, die ihr kurz darauf gegenübersaß, hatte ein schmales, blasses Gesicht, dunkelblaue Augen und einen Ring mitten in der Unterlippe. Ihre langen, blonden Haare hingen unter einer Wollmütze hervor. Ansonsten war sie eher spärlich bekleidet mit knappem Spaghettiträgerhemd und ausgewaschenen Shorts. Sie roch nach Hühnerfutter und Stall. Trotzdem blieb es auch Island nicht verborgen, dass sie eine klassische Schönheit war. Eine Schönheit, die mit übereinandergeschlagenen nackten Beinen und gebeugtem Rücken auf dem Holzstuhl hockte und sich um einen gelangweilten Gesichtsausdruck bemühte.
»Mein Name ist Island. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten des heutigen Tages. Sie sind eine wichtige Zeugin für uns. Deshalb mussten wir Sie unbedingt finden.«
Sie versuchte einen Blickkontakt mit der Frau herzustellen, aber die starrte nur auf die Schreibtischkante.
»Würden Sie mir bitte noch mal Ihren genauen Namen sagen? Für das Protokoll.«
Keine Reaktion. »Es wäre schön, wenn Sie bereit wären, mit mir zu sprechen.«
Immer noch nichts. Island nickte. »Okay, dann machen wir das anders. Ich muss Sie leider mit einigen unangenehmen Dingen konfrontieren, die ich Ihnen gern erspart hätte.«
Sie griff in die Ablage und zog eine Mappe mit Fotos hervor. Es waren Detailaufnahmen der Leichen von Jon Theissen und Cord Petersen. Sie schlug die Mappe auf und schob sie zu Lissy hinüber. Sie konnte sehen, wie das Mädchen sich mit ihren Fingernägeln derart in die Unterarme kniff, dass die Haut ganz weiß wurde.
»Auf Kreihorst sind zwei Tote zu beklagen. Der eine hat dort Urlaub gemacht, der andere hat dort gearbeitet. Sie haben sie beide gekannt.«
Die Frau senkte den Kopf noch ein bisschen tiefer. »Ja«, sagte
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