Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
Vom Netzwerk:
Übertreibungen; wieder andre das kunterbunteste Tollhäuslergewäsch; zerstückelte Reden, lange Apostrophierungen an die Götter, (denn mit Menschenkindern wissen die Herren nicht zu sprechen) falsche Maximen, hochgeschraubte Gemeinplätze.
    Kandide hörte aufmerksam zu, und faßte von diesem Kritiker eine große Meinung; und da die Marquise ihm neben sich einen Platz zu geben die Güte gehabt hatte, so nahm er sich die Freiheit ihr die Frag' ins Ohr zu flüstern: wer der so gesundurteilende Mann wäre?
    Ein Gelehrter, sagte die Dame, der nicht pointiert und den der Abbé manchmal zum Abendbrot herbringt; ein großer Kenner von Trauerspielen und Büchern. Er hat eine ausgepfiffne Tragödie gemacht und ein Buch, davon nie ein anders Exemplar aus seines Verlegers Laden gekommen ist als das, so er mir dediziert hat.
    Ein großer Mann sagte Kandide! ein zweiter Panglos! Hierauf sagt' er sich an ihn wendend: Vermutlich glauben Sie doch auch, mein Herr, daß in der physischen Welt sowohl als in der moralischen alles aufs beste eingerichtet ist, und daß nichts einen andern Gang nehmen kann?
    Nichts weniger denn meine Meinung, antwortete der Gelehrte. Ich finde vielmehr, daß bei uns alles der Quere geht, daß niemand weiß, was seines Rangs, seines Amts ist, noch was er tut, noch was er tun soll, und nehm ich die Soupers aus, wobei noch immer Fröhlichkeit herrscht und auch ziemlich viel Eintracht, so bringen die Menschen den ganzen Überrest ihres Lebens mit dem albernsten Gezeter hin. Jansenisten sind gegen Molinisten, Parlamentsglieder gegen Männer von Literatur, Hofschranzen gegen Hofschranzen, Finanzpächter gegen das Volk, Weiber gegen ihre Männer, Anverwandte gegen Anverwandte; kurz, es ist ein ewiger Krieg.
    Kandide antwortete ihm: Ich habe noch viel Schlimmers gesehen; allein ein weiser Mann, der nachher das Unglück gehabt, aufgehängt zu werden, lehrte mich, daß alles über die Maßen gut sei und daß das Schlimme bloß das wäre, was der Schatten in einem schönen Gemälde.
    Der Herr Weise am Galgen hatte die Leute zum besten, sagte Martin; diese Schatten sind gräßliche Flecke. Die Menschen sind's, die diese Flecke machen, und sie können's nicht vermeiden, sagte Kandide. Sonach ist's nicht ihre Schuld, antwortete Martin.
    Die meisten von den Pointeurs, denen dies Rotwälsch war, zechten, Martin unterhielt sich mit dem Gelehrten, und Kandide erzählte einen Teil seiner Abenteuer der Dame vom Hause. Nach dem Souper führte die Marquise Kandiden in ihr Kabinett; er mußte sich auf ein Sofa setzen.
    Die Dame. Nun, glühen Sie noch immer für Mademoiselle Cunegonde von Dundertronksaus?
    Kandide. Noch immer, gnädige Frau!
    Marquise (mit einem zärtlichen Lächeln). Geantwortet wie ein echter junger Westfale. Ein Franzos an Ihrer Stelle hätte zu mir gesagt: Bisher Madam; seit ich Sie aber gesehn, besorg' ich sehr, Mademoiselle Cunegonde nicht mehr zu lieben.
    Kandide. O, Madame, sprechen Sie, was ich sagen soll, ich will ja alles sagen.
    Marquise. Ihre Leidenschaft für die Baronne begann dadurch, daß Sie ihr Schnupftuch aufhoben, jetzt sollen Sie mir mein Strumpfband aufnehmen. Herzlich gern, Madam, sagte Kandide, und hob's auf. Sie müssen mir's nun wieder umbinden, hub die Dame an, und Kandide tat's. Sehn Sie, sagte die Dame, Sie sind ein Ausländer, meine Pariser Liebhaber laß' ich manchmal fünfzehn Tage schmachten, Ihnen aber ergeb' ich mich in der ersten Nacht, denn einem jungen Westfalen muß man die Honneurs seines Landes machen.
    Die Dame war Französin, Kandide glühend vom Wein, noch glühender von den Reizen, die er oberhalb des Knies der Marquise beim Strumpfbandumbinden in dem verführerischsten Prospekte zu sehn Gelegenheit gehabt; das Kabinett wollüstigdämmernd; alles ringsum hatte so viel Anlockendes; allein waren sie; er erlag.
    Sie spielten ihr Duodram beide recht brav; die Dame, als eine Frau von Welt geübt in den schlauesten, unterhaltendsten Buhlerinnenkünsten; Kandide, als ein unentnervter junger Westfale; er nahm sich völlig dabei, wie Herkules in der Nacht gegen die Fünfzig.
    Nach geendeter Sofaszene lobte die Schöne zwei übergroße Diamanten, die sie bereits längst bei ihrem jungen Fremden wahrgenommen hatte, so treuherzig, daß sie in einem Hui an den Fingern der Marquise saßen.
    Wie Kandide mit seinem Abbé nach Hause ging, stiegen ihm einige Skrupel wegen der Untreue auf, die er an der Baroneß Kunegunde begangen hatte; der Herr Abbé nahm an seinem Kummer teil: er

Weitere Kostenlose Bücher