Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
beginnen wieder zu klappern.
Die Eingangstür hinter mir öffnet sich, und ein Rudel junger, hübscher Mädchen im Schlepptau von zwei Männern mit Kameras kommt laut schnatternd hereingestürmt. Die Empfangsdame hebt den Blick, lächelt und winkt ihnen zu, dann ist ihre Aufmerksamkeit auch schon wieder anderen Dingen zugewandt. Nur leider nicht mir.
»Entschuldigen Sie!«, versuche ich es erneut.
»Ja? Was stehen Sie hier eigentlich die ganze Zeit herum?«, fragt sie, plötzlich gar nicht mehr freundlich, ohne mich anzusehen. Mir bleibt der Mund offen stehen.
»Na hören Sie mal!«, empöre ich mich.
Jetzt hebt sie den Kopf, ärgerlich die aufgemalten Augenbrauen zusammengezogen. »Können Sie nicht einfach sagen, was Sie hier wollen?«
»Ich habe einen Termin bei Frau Kern. Mein Name ist Victoria Schäfer.«
Wieder dieser abschätzende Blick, der mir hier überall zugeworfen wird.
»Sind Sie sicher?«, fragt sie kühl.
»Nein, im Grunde wollte ich zu Ihnen und Sie fragen, woher Sie diese wunderschönen Fingernägel haben und seit wann wir auch beim Naildesign wieder Back to the 80s sind. Oder haben Sie sie einfach seitdem wachsen lassen?« Ich habe mich ein Stück über den Tresen gelehnt. Gut, dass ich meine Pumps angezogen habe – ohne Absätze wäre mein Auftritt nur halb so cool. Sie starrt mich giftig an, dann schnaubt sie und zeigt den Gang hinunter. Sie öffnet den Mund, doch ich komme ihr zuvor.
»Ich weiß schon, vielen Dank für Ihre Hilfe! Am besten, ich schlage Sie gleich mal zur Mitarbeiterin des Monats vor!« Dann schüttele ich den Kopf und mache mich auf den Weg zu Frau Kern.
Als ich wenige Sekunden später vor der Bürotür der Chefredakteurin stehe, wird mir wieder ganz flau im Magen. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Hätte ich nicht einfach meinen Job machen und Schreibtische abwischen können? Das, was ich eigentlich verdient habe? Ich hole tief Luft, dann klopfe ich an der Tür.
»Herein.«
Ich drücke die Klinke hinunter und schiebe mich vorsichtig ins Zimmer. Hinter dem Schreibtisch erhebt sich eine mir lediglich von Fotos bekannte Frau und sieht mir mit unergründlichem Gesichtsausdruck entgegen.
»Frau Schäfer?« Ich nicke. »Evelyn Kern.«
Ihre Haare sind etwas länger als auf dem Bild, das ich zuletzt von ihr gesehen habe, aber genauso akkurat geschnitten. Sie trägt einen perfekt sitzenden königsblauen Hosenanzug, der wie maßgeschneidert um ihren Körper fließt. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe, streckt sie mir ihre Hand entgegen, und als ich sie ergreife, klirren die schweren Goldarmreifen an ihrem Handgelenk.
»Setzen Sie sich doch.« Evelyn Kern deutet auf einen der Stühle vor ihrem Schreibtisch.
»Danke.« Ich setze mich und blicke sie abwartend an. Sie sieht älter aus als auf den Bildern. Ihre Haut wirkt deutlich geliftet, und der rote Lippenstift lässt ihren Mund noch schmaler und strenger wirken.
»Frau Kern, ich …«, beginne ich, nachdem sie sich in ihren ledernen Chefsessel gesetzt hat, doch sofort hebt sie die Hand.
»Sparen Sie sich das, Frau Schäfer. Was Sie sich geleistet haben, duldet kein Verständnis. Ich könnte Sie wegen Betriebsspionage anzeigen, wissen Sie das eigentlich?«
»Wegen Betriebsspionage?«, frage ich verständnislos.
»Sie haben sich Zugang zu den Firmencomputern verschafft, oder etwa nicht? Ich gehe davon aus, dass Ihnen das als Reinigungskraft nicht zusteht.«
»Nein«, gebe ich zu und senke betreten den Blick.
»Ihren Arbeitgeber habe ich bereits informiert, Sie können also mit einer umgehenden Kündigung rechnen.« Ihre Stimme klingt so völlig ungerührt, und ich hebe den Kopf, um zumindest ihren Gesichtsausdruck deuten zu können: gleichbleibend streng, nur ihr Mund ist leicht schief und irgendwie missbilligend, als würde sie einen Kaffeefleck auf einer weißen Bluse betrachten.
»Na dann …« Ich schiebe langsam meinen Stuhl zurück, stehe auf und sehe die Chefredakteurin an. Als ich ihr zum Abschied meine Hand entgegenstrecke, ergreift sie diese wieder. Und mit den Worten »Ich wünsche Ihnen trotzdem noch einen schönen Tag« will ich mich vom Acker machen.
Aber Evelyn Kern hält meine Hand fest. Ihr Griff ist nicht unangenehm, aber man merkt, dass diese Frau einen starken Willen hat. Sie sieht mir fest in die Augen. »Eine Frage hätte ich noch, Frau Schäfer. Wieso haben Sie das gemacht?«
Einen Moment lang sehen wir uns schweigend an, dann zucke ich mit den Schultern. »Vielleicht aus
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