Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Dummheit. Vielleicht, weil ich nicht aufhören wollte, meinen Träumen hinterherzujagen, auch wenn ich das längst hätte tun sollen …«
Dann nickt sie plötzlich und lässt meine Hand los. »Auf Wiedersehen.« Ihre Stimme hat bis zum Schluss nichts von ihrer Kälte verloren.
Als ich nach Hause geschlichen komme, blinkt mein Anrufbeantworter. Tatsächlich hat die Reinigungsfirma mir schon die Kündigung aufs Band gesprochen. Wie persönlich! Caruso sieht treuherzig aus seinen tiefbraunen Augen zu mir hoch und stupst mit der Nase meine Hand an. Und als ich nicht mehr anders kann und gerade laut aufschluchze, klingelt es an meiner Tür.
»Vicky?«, höre ich Jans Stimme von draußen. Soll ich ihn reinlassen? Flennend? Besser nicht.
»Mach auf, ich hab gesehen, dass du nach Hause gekommen bist. Ich wollte dich nur schnell was fragen.«
Ich wische mir hastig mit dem Ärmel über mein Gesicht und öffne dann widerwillig die Tür.
»Hallo, Jan«, sage ich mit weinerlicher Stimme. »Was gibt’s denn?«
Er blickt mich an, ohne zu antworten, dann schiebt er mich zurück in meine Wohnung, sich und Caruso, der ihn schwanzwedelnd begrüßt, gleich mit und schließt die Tür hinter sich.
»Was ist denn passiert?«, fragt er besorgt.
»Nichts«, schniefe ich und blicke zu Boden.
»Das sieht mir aber nicht nach nichts aus!«, widerspricht er und hebt mein Kinn an, um mir in die Augen sehen zu können. »Also?«
»Ich hab meinen Job verloren!«, heule ich los.
»Was?«
»Die blöde Kuh aus der Redaktion hat die ganze Geschichte der Chefredakteurin gesteckt, und die hat das natürlich gleich an die Reinigungsfirma weitergegeben, und jetzt ist alles aus! Verstehst du? Alles! Ich sitze wieder auf der Straße, genauso wie vorher!«
»Aber … wieso …?«
»Weil alle, die in diesem Laden arbeiten, verlogene Miststücke sind! Deshalb!«, rufe ich hysterisch und fange wieder an zu schluchzen.
»Komm her!« Jan zieht mich an sich, und ich lege mein Gesicht an seine Brust und weine sein T-Shirt nass. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihm schwarze Wimperntusche in seine Hemden schmiere, und beinahe habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Vielleicht sollte ich mir wasserfeste Mascara zulegen. Möglicherweise kann ich mir aber ab jetzt auch nie wieder Make-up kaufen? Nie wieder! Bei dieser Aussicht stürzen gleich neue Tränen aus meinen Augen. Wie peinlich. Zum Glück ahnt Jan nicht, dass mein Kummer auch meiner Wimperntusche gilt, und streicht mir beruhigend über den Rücken.
»Jetzt beruhige dich erst mal«, sagt er, und ich höre seine Stimme doppelt, außen und tief in seiner Brust dröhnen, an die ich ja mein Ohr gepresst habe. Dazwischen höre ich immer wieder sein Herz schlagen. Babumm, babumm, babumm. Hm, was für ein schönes Geräusch. Fasziniert lausche ich dem Klang und beruhige mich dabei zunehmend.
Schließlich versiegen meine Tränen ganz – und trotzdem rühre ich mich nicht vom Fleck. Wie ich das tröstende Streicheln auf meinem Rücken genieße! Unwillkürlich schlinge ich meine Arme um Jans Oberkörper, meine Hände lege ich auf seine Schulterblätter. Ich seufze zufrieden, ohne meine Augen zu öffnen. So könnte ich stundenlang stehen bleiben, seine Wärme und diesen Duft nach Motoröl und herbem Duschgel genießen, dazwischen immer wieder Nuancen der karamellisierten Erdnussriegel, die Jan so liebt. Dann lasse ich meine Hände über Jans Rücken gleiten, so wie er es bei mir gemacht hat. Babumm, babumm, babumm, babumm, babumm . Was ist das? Jans Herz beginnt zu galoppieren und gegen seine Rippen zu schlagen. Irritiert hebe ich den Blick. Jan räuspert sich und löst seine Umarmung ganz plötzlich.
»Geht’s wieder?«, fragt er verlegen, und eine kleine Falte steht zwischen seinen Augenbrauen – wie immer, wenn ihm irgendetwas unangenehm ist. Auch ich lasse meine Arme sinken und trete einen Schritt zurück.
»Ähm, ja. Geht schon, danke.« Ich bin irritiert. Habe ich etwas falsch gemacht?
»Also, ich wollte eigentlich nur fragen, ob du am Samstag mitkommst. Wir wollen Stephans Geburtstag im Apartment 11 feiern.«
»Hm … Ich glaube, ich bin momentan eher ein Stimmungskiller …«
»Für die Stimmung ist ja auch Stephan zuständig. Es kommen noch ein paar Kumpels von ihm mit, samt Freundinnen. Und Tilda wird auch da sein.« Jan hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen und grinst.
»Wirklich?« Tilda ist Stephans neue Flamme, und ich frage mich schon lange, ob sie ihrem Ruf gerecht werden
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