Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
humorvolle Person«, sagt Frau Kern mit säuerlichem Tonfall und wirft mir einen Blick zu, der nichts anderes heißt als: »Halt jetzt die Klappe und mach nicht wieder einen Fehler, sonst wirst du es diesmal wirklich bereuen!«
Unwillkürlich ziehe ich den Kopf ein.
»Setzen Sie sich doch, Frau Schäfer.« Herr Waldstätt rückt mir einen Stuhl zurecht. Was mache ich hier eigentlich? Ich komme mir langsam vor wie bei der versteckten Kamera. Evelyn Kerns Stellvertreter, sie selbst und Julia setzen sich ebenfalls, und der Einzige, der ein fröhliches Gesicht macht, ist Herr Waldstätt.
»Also …«, beginnt die Chefredakteurin, und ihre dunklen Augen blitzen kühl unter ihrem schnurgeraden Pony hervor, »Frau Schäfer, Ihre Kolumne, die sie uns als Krankheitsvertretung für Frau Haag geschrieben haben, hat bei den Leserinnen eine sehr positive Resonanz hervorgerufen.«
»Positive Resonanz ist wohl noch untertrieben«, lacht Herr Waldstätt, woraufhin Frau Kerns Mund vor lauter Ungnade zu einem schmalen Strich wird. »Wir haben unzählige Zuschriften bekommen – die Leserinnen sind begeistert! Endlich schreibt eine von ihnen, sagen sie, endlich etwas Neues, Spritziges. Manche drohen sogar damit, die Stunning Looks nie wieder zu kaufen, sollte das Papergirl abgesetzt und die alte Kolumnistin wieder eingesetzt werden.«
»Was?«, rufe ich erstaunt und kann nicht anders, als zu Julia zu blicken, die ihre Kiefer aufeinandergepresst hat und auf den Boden starrt. Ich sehe wieder zurück zu den Chefredakteuren – über mir steht immer noch ein großes, rot blinkendes Fragezeichen.
»Frau Schäfer …«, beginnt Frau Kern erneut, »hätten Sie Interesse an einer Position in unserem Unternehmen? Wir würden Sie gerne langfristig als Autorin unserer Kolumne einstellen, falls Sie dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen.«
»Also, ich …«, stottere ich.
»Natürlich können Sie noch eine Nacht darüber schlafen«, wirft Herr Waldstätt ein. »Melden Sie sich einfach morgen bei uns und teilen Sie uns Ihre Entscheidung mit. Sollten Sie sich für uns entscheiden, dann könnten Sie sofort mit der nächsten Kolumne beginnen.«
»Vielleicht sollten wir noch erwähnen, dass Ihnen die Themenwahl mehr oder weniger freigestellt ist«, erklärt Evelyn Kern und wirft mir ein falsches Lächeln zu. »Sie müssen sich lediglich an die Abgabetermine halten und natürlich an die groben Rahmenbedingungen.«
»Ja … natürlich …«, stammele ich.
»Wir haben Sie völlig überrumpelt, was?«, lacht Herr Waldstätt und steht auf. »Denken Sie einfach noch mal in Ruhe darüber nach.« Er reicht mir die Hand, und ich greife sie, um mich zu verabschieden. »Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn wir Sie bald bei uns im Team begrüßen dürften.«
Ich nicke, lächle und weiß gar nicht, wie mir geschieht. Mein Kopf ist plötzlich ganz leer, und wie ein Roboter gehe ich zur Tür und verlasse meinen persönlichen Magen-Darm-Infekt. Nicht als Pelzmütze, dafür aber als vielleicht zukünftige Mitarbeiterin der Stunning Looks.
»Vicky! Du bist ja ganz blass, ist alles okay?« Stephan steigt gerade aus seinem Auto aus, als er mich vor der Haustür stehen sieht.
»Ge…ht… so«, nuschele ich und starte den 500sten Versuch, meinen Schlüssel ins Schloss zu fummeln. Jetzt ist Stephan bei mir und hält mich am Arm fest.
»Alles okay?«, wiederholt er und sieht mir prüfend ins Gesicht.
»Alles … pr…prima …«
»Ich helf dir.« Er sperrt die Tür für mich auf und führt mich ins Treppenhaus. »Du brauchst jetzt erst mal einen Kaffee und einen Schokoriegel, glaub ich.«
»Gu…te … Idee.«
Wenige Minuten später sitze ich am Küchentisch der Jungs-WG, vor mir einen XXL-Becher frisch durch die Maschine gejagten Kaffee und ein großes Stück Schokolade in der Hand. Ich nehme einen Schluck aus der Tasse, spüre, wie das warme Getränk meine Kehle hinunterrinnt, in meine Adern schießt und das Koffein in jede einzelne Zelle meines Körpers treibt. Verbunden mit einem Bissen von der lecker schmelzenden Schokolade auf der Zunge ist es eine pure Wohltat. Ich schließe die Augen.
»So, jetzt erzähl Onkel Stephan mal, was passiert ist.«
Stephan hat sich ebenfalls einen Becher Kaffee eingegossen und lässt sich auf den freien Stuhl neben mir fallen.
»Ich war heute noch mal bei der Stunning Looks«, beginne ich.
»Oh, ich wusste gar nicht, dass du so masochistisch veranlagt bist«, schmunzelt mein Kumpel und nippt an seinem
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