Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Paschulke hat gesagt, dass ab dreißig die Fruchtbarkeit rapide abnimmt, und dein Alter wäre genau richtig, um loszulegen. Vielleicht hättest du damals doch netter zum Nachbarsjungen sein sollen, das war ja so ein netter junger Mann … « Piiieep. Kein Wunder, Sonja war schon in der Grundschule leicht zu haben gewesen. Überrascht mich kein bisschen, dass die jetzt schon ein Kind gekriegt hat. Außerdem habe ich nie gerne mit der dummen Kuh gespielt. Die hat immer in den Sandkasten gemacht und das dann auf die Katzen geschoben. Und Jonas … Pah, kein Wunder, dass der meiner Ma gefallen hat, der war total die Milchsemmel.
»Dritte Nachricht, heute, 9 Uhr 45: Grüß Gott, Frau Schäfer, hier spricht Herr Müller von der Arbeitsagentur. Vergessen Sie bitte nicht, Ihren Termin zur Berufsberatung wahrzunehmen, morgen um 13 Uhr. « Piiieep. Ja klasse, ich freu mich wie Bolle …
»Vierte Nachricht, heute, 10 Uhr: Guten Tag, hier spricht Julitta Landsmann von der Stunning Looks. Meine Chefin, Frau Kern, würde Sie gerne zu einem Gespräch einladen, morgen um 13 Uhr bei uns in der Redaktion. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie kommen könnten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Auf Wiederhören! « Piiieep. »Sie haben keine weiteren Nachrichten.«
Ich starre auf den Anrufbeantworter. War das eben tatsächlich eine Nachricht von der Stunning Looks? Die Chefin will mich zu einem Gespräch einladen? Evelyn Kern, die Kannibalin, will mich noch mal zu einem Gespräch einladen? Wozu? Hat sie ein neues Folterrezept gefunden, das sie an mir ausprobieren will? Außerdem habe ich um 13 Uhr doch den Termin bei meinem Berater von der Arbeitsagentur. Den kann ich nicht einfach absagen, sonst kriege ich Ärger. Aber wenn ich nicht zur Stunning Looks gehe, werde ich nie erfahren, was Evelyn Kern von mir wollte, und dann werde ich das mein Leben lang bereuen.
Was soll ich nur tun? Arbeitsagentur? Stunning Looks? Arbeitsagentur? Stunning Looks? Hilfe! Ich greife zum Telefon.
»Nina? Ich dachte schon, die Muscheln hätten dich nachträglich doch noch dahingerafft, weil du dich so gar nicht meldest! Und zweitens: Ich brauche dringend deinen Rat!«
Eine halbe Stunde später sitze ich mit meiner besten Freundin in einem hübsch dekorierten Wartezimmer in Schwabing, denn Nina hat einen Termin zum Waxing und mich samt meinem Problem kurzerhand mitgenommen.
»Ich muss mich aber nicht waxen lassen, oder?«, wispere ich ihr angsterfüllt ins Ohr, als das Studio vom Schmerzensschrei einer anderen Kundin erfüllt wird.
»Nein, du Schaf!« Nina grinst. »Wobei ich nicht verstehen kann, wie jemand wie du, der ständig überall mit dem Epilierer unterwegs ist, Angst vorm Waxen hat! Ist doch das Gleiche!«
»Ist es nicht!«, antworte ich beleidigt und folge Nina in eine der Kabinen. Ich setze mich auf einen Stuhl und beobachte skeptisch, wie meine Freundin ihre Hüllen fallen lässt und die nette Depiladora (allein die Berufsbezeichnung klingt schon nach Sadomaso und Schmerzen …) Wachs auf ihren Alabasterkörper verteilt. Kein Wunder, dass die Jungs so verrückt nach ihr sind, so makellos wie Nina ist. Apropos …
»Was ist jetzt eigentlich mit dir und Andy?«
»Was soll sein?«
Ratsch! Die Depiladora reißt einen Wachsstreifen von Ninas Bein, und die zuckt nicht mal mit einer ihrer langen Wimpern. »Es ist wie zuvor auch. Eine Bekanntschaft eben.«
»Das kannst du so einfach sagen, nachdem er für dich gekocht und dich so liebevoll umsorgt hat?«, empöre ich mich.
»Vicky, er hat mich fast vergiftet!«
»Aber doch nicht mit Absicht!«, erwidere ich, als ich bemerke, wie die Depiladora erstaunt die Augenbraue hochzieht. »Er hat sie übrigens gleich ins Krankenhaus gefahren!«, erkläre ich deshalb noch, an sie gewandt.
Die Kosmetikerin nickt und reißt entspannt einen weiteren Streifen ab. »Mein Mann hat mich aus Versehen mal in einen Glastisch geschubst«, erzählt sie uns mit ausländisch klingendem Akzent. Auf unsere entsetzten Gesichter hin fügt sie an: »Wir waren zu stürmisch. In der Liebe.«
»Oh«, seufzen Nina und ich gleichzeitig.
»Ich hatte Blut, überall!«, erzählt die Frau weiter und nimmt sich Ninas zweites Bein vor. »Er hat mich auch ins Krankenhaus gefahren, und dort er hat mir Heiratsantrag gemacht.« Sie zeigt uns den funkelnden Ring an ihrem Finger.
»Siehst du!«, sage ich triumphierend zu Nina, »das ist wahre Liebe!«
»In die Notaufnahme gefahren zu werden?«, fragt sie spöttisch.
»Ja!«,
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