Kann es wirklich Liebe sein
stoischer Miene konnte sie nicht ablesen, was er dachte. Trotzdem merkte Meredith, wie sehr ihm die Situation mit Cassie zu schaffen machte. Die Archers kümmerten sich immer gemeinsam um ihre Probleme. Dieses Mal sollte es nicht anders sein.
Außerdem musste sie nicht beschützt werden, erinnerte sie sich selbst, während Jim auf sein Pferd stieg. Sie hatte Sadie. Auch wenn das alte Mädchen den größten Teil des Tages schlafend auf der Veranda verbrachte, was machte das schon? Meredith war schon öfter tagelang alleine geblieben. Dann würde sie auch ein paar Stunden auf der Archerranch überstehen.
Und wenn es Travis nicht gefiel, dass sie den ganzen Nachmittag alleine verbrachte, konnte er einfach nach Hause kommen und selbst auf sie aufpassen.
„Du kommst zurecht?“ Jim wandte sich im Sattel um und sah sie fragend an.
„Natürlich.“ Merediths Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ein Nachmittag alleine mit ihrem Ehemann? Sie konnte es gar nicht erwarten, dass Jim endlich wegritt.
* * *
Eine Stunde später hatte Meredith das Wohnzimmer und die Küche gewischt und das Gemüse für den Eintopf am Abend geschnitten – eine wirkliche Leistung, wenn man bedachte, dass sie mehr als die Hälfte der Zeit damit verbracht hatte, aus dem Fenster zu starren und auf Travis zu warten.
Bestimmt würde er bald kommen. Es sei denn, Jim hatte Probleme, ihn zu finden. Sie war noch nie auf der Nordweide gewesen, daher hatte sie keine Ahnung, wie groß oder unübersichtlich sie war. Vielleicht war es schwerer, Travis zu finden, als sie sich vorstellte. Und selbst wenn er ihn gefunden hatte, würde Travis sich nicht auf den Heimweg machen, ohne vorher mit Jim gesprochen zu haben.
Während Meredith Wasser über die Kartoffeln, Zwiebeln und Karotten gab, traf sie ein völlig anderer Gedanke. Was, wenn es Travis überhaupt nicht eilig hatte, zu ihr nach Hause zu kommen? Was, wenn er glaubte, dass sie hier auch gut alleine zurechtkommen würde? Meredith runzelte die Stirn, als sie den Wasserkessel beiseitestellte. Sie wollte, dass Travis ihr vertraute, dass er wusste, dass sie alleine klarkam. Doch sie hoffte auch, dass er die Chance nutzen würde, mit ihr alleine zu sein.
Ach, was war das alles für ein Durcheinander! Meredith verdrehte die Augen. Der Mann musste eine Ranch führen, um Himmels willen. Das Letzte, was er während der Arbeit gebrauchen konnte, war eine Frau, die ihm Vorschriften machte. Sie würden andere Gelegenheiten haben –
Das Geräusch eines herannahenden Reiters warf all ihr logisches Denken über den Haufen und ließ ihr Herz vor Freude hüpfen. Schnell sah sie in den Spiegel im Bad, um sich zu vergewissern, dass sie Travis gefallen würde.
Endlich war er da.
Die Aufregung ließ ihr Herz flattern, während sie die Schürze beiseitelegte und in den Flur rannte, um ihren Ehemann in Empfang zu nehmen. Als sie schon die Hand am Türknauf hatte, hörte sie plötzlich Sadies Grollen. Vorsichtig ließ sie den Knauf los und griff stattdessen zum Gewehr, das an der Wand lehnte.
Wer auch immer draußen vor der Veranda war, es war nicht Travis.
Kapitel 34
Travis lenkte Bexar durch das Gelände, das der Sturm vom Vortag in einen wahren Sumpf verwandelt hatte. Jim war nicht erfreut darüber gewesen, dass das Tor abgebaut worden war. Er hatte Travis vorgeworfen, dass es widersprüchlich sei, die Sicherheitsvorkehrungen auf der Ranch zu lockern, wo Mitchell oder seine Männer jederzeit wieder auftauchen könnten. Und obwohl Travis immer noch zu seiner Entscheidung stand, das Tor zu entfernen, machte es ihn nervös, seine eigenen Bedenken laut ausgesprochen zu hören.
Ich versuche, dir zu vertrauen, Herr. Aber es fühlt sich so an, als müsste ich gegen meine Natur handeln. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass ich uns einschließen muss. Dass ich die beschützen muss, die ich liebe.
Was, wenn er Gott falsch verstanden hatte? Was, wenn seine Handlungen heute seine Familie in Gefahr brachten?
„Ist es zu spät, ein Vlies auszulegen?“, fragte Travis in Richtung Himmel. „Eine kleine Versicherung, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe?“
Je mehr er allerdings an das wollene Vlies dachte, desto bewusster wurde ihm, was Gott von dem Mann verlangt hatte, der es einst auslegte. Er hatte Vertrauen verlangt, das jeden Verstand überschritt. Gott hatte Gideons Armee von dreitausend auf dreihundert reduziert und ihn dann in den Krieg gegen einen übermächtigen Feind geschickt. Gideon
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