Kann es wirklich Liebe sein
Du hast es doch nicht bereut, Travis zu heiraten, oder?“
Meredith nahm Cassies Bürste und kämmte sanft durch die blonden Locken. „Ich bereue es nicht. Nicht einen Moment. Aber ich habe all diese Jahre Gefühle für ihn gehegt. Für dich wird es anders sein. Jim ist ein guter Mann, aber er ist dir völlig fremd. Woher weißt du, dass ihr zusammenpasst?“
„Er hat mich geküsst“, flüsterte Cassie.
Meredith hielt erschrocken inne. Der Schreck über Cassies Geständnis ließ sie schaudern. Sie ließ die Bürste sinken und drehte ihre Cousine zu sich herum, damit sie ihr in die Augen sehen konnte. „Er hat dich geküsst?“
Der stille, zurückhaltende Jim?
„Mhm.“ Cassie nickte und ihr Gesicht glühte rosig. „Und es war nicht nur ein kleiner Kuss auf die Wange wie bei meinen anderen Verehrern. Es war stark und tief und … wundervoll.“
Das Seufzen, das sie ausstieß, beinhaltete die ganze Leidenschaft, die eine junge Frau für ihre erste große Liebe empfinden konnte. Meredith konnte nicht anders und musste lächeln. Immerhin fühlte sie sich bei Travis ganz genauso. Zumindest hatte sie das am Anfang getan. Mittlerweile hatten sich ihre Gefühle weiterentwickelt und sie konnte sich nicht einmal mehr vorstellen, ein Leben ohne Travis zu führen.
Meredith blinzelte. Wann hatte sich ihre kindliche Schwärmerei in das Gefühl verwandelt, ihn zu brauchen? Ihn jeden Tag um sich haben zu wollen? Wenn sie an die Gefühle dachte, die sie all die Jahre für ihn gehegt hatte, fragte sie sich, wie sie diese jemals als Liebe hatte bezeichnen können. Das, was sie nun empfand, war Liebe – eine Empfindung, die sie stärker machte, die ihr klarmachte, dass sie ohne ihn nicht mehr sein wollte. Gott hatte ihr diese Liebe ins Herz gegeben und Meredith wollte sie nicht mehr missen.
„Fändest du es schamlos, wenn ich hoffen würde, dass Papa seine Meinung über Roy nicht ändert?“, fragte Cassie leise und brachte Meredith wieder in die Gegenwart zurück. „Damit Jim einen Grund hat, mich zu heiraten? Natürlich würde ich es vorziehen, wenn er mich umwirbt und mir den Hof macht, aber ich habe auch etwas Angst, dass er dann hier draußen auf der Ranch bleiben und mich vergessen würde. Die Archers haben mit der Stadt nicht so viel am Hut, das weißt du.“
Meredith streichelte Cassies Arm und ergriff beruhigend ihre Hand. „Die Archers sind ehrenhafte Männer, Cass. Wenn Jim dich so geküsst hat, wie du es mir erzählt hast, musst du bestimmt nicht fürchten, dass er dich vergisst.“ Meredith drehte ihre Cousine sanft von sich weg, um sich wieder ihren Haaren zu widmen. „Außerdem sind die Archers nicht so zurückgezogen, wie du glaubst. Gut, in den letzten Jahren haben sie sich daran gewöhnt, unter sich zu sein, aber das kann sich schnell wieder ändern, denke ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jim sich durch so etwas wie die Stadt davon abhalten lässt, dich zu besuchen. Dafür ist er zu sehr von dir hingerissen.“
Cassie legte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Meinst du wirklich?“
„Ja.“ Meredith grinste und brachte Cassies Kopf wieder in die richtige Position. „Die Frage ist, ob auch du hingerissen von ihm bist. Würdest du ihn auch heiraten, wenn die Situation mit deinem Vater und Roy nicht so wäre, wie sie ist?“
Meredith erwartete eine schnelle, zustimmende Antwort. Cassie war immerhin nicht gerade dafür bekannt, dass sie Entscheidungen lange hinausschob. Doch sie schwieg. Meredith hatte die Bürste beiseitegelegt und schon gut die Hälfte von Cassies Haaren zu einem Zopf geflochten, als sie schließlich antwortete.
„Ich fühle mich geborgen und wertgeschätzt, wenn ich bei ihm bin. Er hat mich in den Arm genommen, als ich heute weinen musste, und mir nie gesagt, dass ich still sein soll. In seiner Werkstatt hat er mir versprochen, mich vor Roy und sogar meinem Vater zu beschützen. Und wenn er mich anschaut …“ Sie senkte den Blick.
Meredith knotete ein Band um das Ende des Zopfes und dann saßen die beiden Frauen schweigend nebeneinander auf dem Bett.
„Wenn er mich anschaut, Meri“, fuhr Cassie schließlich fort, „gibt er mir das Gefühl, die schönste Frau der Welt zu sein. Als könne er mich den Rest seines Lebens ansehen und würde beim Anblick meines Gesichtes niemals müde werden. Als würde er nicht nur die Frau sehen, die ich bin, sondern auch die, die ich noch werden kann. Und wenn ich ihn anschaue, sehe ich nicht nur einen gut aussehenden Verehrer, der
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