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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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Kleine mir im Kindergarten entgegenläuft beim Abholen, oder sein Lachen, wenn er beim Versteckenspielen gefunden wird. Oder wenn er sich etwas ausdenkt wie diesen Namen, Tika.
    Der Aufzug kommt. Ich fahre nach oben. Und sehne mich plötzlich unglaublich nach meinem Sohn. Im fünfzehnten Stockwerk gehe ich wieder zur Toilette und wasche gründlich meine Hände.
    Mir fällt meine Cousine ein. Mit fünfundzwanzig schon wurde sie stellvertretende Filialleiterin einer großen Bank – ihre Zweigstelle hatte eine zentrale Lage, mitten in der Stadt. Eine echte Überfliegerin, meine Cousine. Sie hat richtig etwas bewegt, vergab Minikredite an Obdachlose, damit die mit kleinen Bauchladenjobs Existenzen aufbauen konnten. Ein Plan, den am Anfang alle ablehnten. Der dann am Ende, als sie ihn durchgefochten hatte, durch die Presse ging. Und ihr letztendlich die Beförderung zur stellvertretenden Filialleiterin einbrachte. Dann erlitt ihre makellose Karriere einen Knick: Sie wurde schwanger. Mit sechsundzwanzig. Von dem Mann, mit dem sie seit Teenagerzeiten zusammen war.
    Meine Cousine freute sich unglaublich, bis sie mit ihrem Chef, dem Filialleiter, sprach. Der setzte ihr die Pistole auf die Brust: Entweder sie kommt sofort nach der Geburt in Vollzeit zurück – oder gar nicht. Er sagte ihr wortwörtlich, dass er auf ihren Rechtsanspruch auf Teilzeit pfeife. 23 Dass er sie ganz haben wolle. Meine Cousine war natürlich am Boden zerstört. Und dann musste sie plötzlich ins Krankenhaus. Ich weiß nicht, ob sie abgetrieben hat oder ob dieser ganze Druck zu einer Fehlgeburt führte. Kurz darauf ging auch ihre Beziehung auseinander.
    Meine Cousine lebt heute in den USA . Sie arbeitet seit zwei Jahren in New York für eine große Bank. Wir haben kaum noch Kontakt. Ich glaube, sie will mit ihrem alten Leben nichts mehr zu tun haben. Und da ich ein Teil davon bin, hat sie auch an mir kein Interesse mehr. Damals, als sie schwanger war, haben wir ein paarmal telefoniert. Ich war zu der Zeit auch schwanger, ganz am Anfang, fast vier Jahre ist das jetzt her. Mir war ziemlich oft schlecht und ihr auch, da haben wir uns ausgetauscht. Einmal hat sie gesagt, dass sie nachts nicht schlafen kann. Weil sie sich immer vorstellt, wie sie in die Bank geht, mit dickem Bauch. Und alle mit Fingern auf sie zeigen.
    Es ist ruhig in meiner Abteilung, als ich den Gang entlanggehe. Freitags wollen die meisten früher in die Mittagspause, weil sie früher Feierabend machen. Die junge Kollegin sitzt an ihrem Schreibtisch und telefoniert. Ich öffne meinen Posteingang und bleibe bei einer Mail von der Grafik hängen. Sie hat einen Link auf die Website eines Nachrichtenmagazins angehängt. 24 Das hat die schlimmsten Sprüche Vorgesetzter veröffentlicht, eingeschickt von den Leserinnen und Lesern. Ich klicke auf den Link und beginne zu lesen:
    »Jetzt sind Sie schon zu zweit – und haben immer noch keine Ahnung.«
    Gratulationsfloskel nach Geburt
    »Sie können mit Ihrem Gehalt keine zwei Kinder ernähren? Dann muss eben eins sterben.«
    Sozialdarwinismus in Gehaltsverhandlung
    Mir vergeht die Lust am Weiterlesen. Und es ist mir egal, ob das nun echte Zitate sind oder ausgedachte. Über diese Art Humor kann ich nicht lachen.
    »Danke fürs Zuhören vorhin«, sagt da die junge Kollegin. Sie hat ihr Telefonat beendet. »Ist es in Ordnung, wenn ich heute etwas früher nach Hause gehe? Die Woche war ziemlich anstrengend für mich, und ich will übers Wochenende heim zu meinen Eltern.« Ich nicke. Und ermuntere sie, doch gleich zu gehen – den Rest der anstehenden Arbeit kann ich auch allein erledigen. Sie schaltet ihren Rechner aus, packt ihre Sachen und geht. Da fällt mir die Bemerkung des Vorgesetzten ein, dass wir unsere »Frauensachen« besser absprechen sollten. Haha. Aber ich hoffe trotzdem, er bemerkt nicht, dass sie heute eher gegangen ist als sonst.
    Ich bin erleichtert, dass sie weg ist und mich nicht noch einmal um Rat fragt. Denn sosehr mich ihre Schwangerschaft und die damit verbundenen Fragen auch berühren – ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Das Kind behalten, einen Schwangerschaftsabbruch machen – beides so folgenschwere Entscheidungen, dass ich ihr weder zur einen noch zur anderen raten möchte. Aber ich finde es wichtig, dass sie vor allen Entschlüssen auch mit dem Mann spricht, dem Erzeuger, der meiner Meinung nach ein Mitspracherecht hat. Und natürlich auch eine Verantwortung.
    Die nächsten Stunden verlaufen ruhig. Ich

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