Kannst du mir verzeihen
sich minutenlang umarmt hatten und der ungeduldige Taxifahrer bereits nervös auf dem Gaspedal herumdrückte.
Sie wollten beide nicht, dass er fuhr. Und sie wussten beide, dass er musste.
»Komm schon, Hanny, ich muss los«, sagte er schlieÃlich und löste sich â wenn auch ungern â aus der Umarmung.
»Nicolette kriegt einen Herzinfarkt, wenn ich zu dem Termin mit Gordon Gough zu spät komme.«
»Kannst ihm ja ein Ãclair anbieten. Das würde ihn bestimmt aufheitern.«
Jai sah sie einen Moment an. In einem letzten Versuch, ihr wieder ein echtes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, öffnete er die Schachtel, holte ein Ãclair heraus, betrachtete es sehr genau und hielt es Hanny dann aufrecht vor die Nase. »Einmal knicken und dann einführen.«
Grinsend fuchtelte er mit dem Teil herum und wurde dafür mit einem Lächeln belohnt.
Sie winkten einander überschwänglich zu, bis sie sich nicht mehr sehen konnten.
Dann lieà er abrupt den Arm sinken, zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Die lange Tonfolge in der Leitung deutete darauf hin, dass es sich um eine Nummer im Ausland handelte. Er lieà es ziemlich lange klingeln, und gerade, als er resigniert auflegen wollte, nahm am anderen Ende jemand ab.
Jai lächelte erleichtert, als er die vertraute Stimme hörte.
»Willkommen zu Hause, tolle Frau. Lange nicht gequatscht. Wie gehtâs dir?«
Hanny sah ihm nach. Beinahe hätte sie ihm alles erzählt, aber sie war sich nicht sicher, ob er sie verstehen würde. Und sie wollte an ihrer Haltung zu den Geschehnissen festhalten und sich nicht von anderen Leuten verunsichern lassen.
Im Moment hatte sie keine Ahnung, wie es ihr eigentlich ging. Was sie fühlte. Denn im Moment lieà sie so gut wie gar keine Gefühle zu.
Jetzt, wo Jai weg war, blieb ihr nur eins zu tun: arbeiten.
Sie ging ins Atelier, fuhr den Computer hoch und öffnete das Manuskript, das Jai ihr geschickt hatte. Sie las weiter, und schon wollte sie anfangen zu malen.
Sie klemmte ein weiÃes Blatt Papier auf die Staffelei.
Ãffnete den Tuschkasten.
Nahm einen Pinsel zur Hand.
Machte einen ersten Pinselstrich.
Hielt inne.
Der Pinsel schwebte über dem Papier.
Zum ersten Mal, seit sie Bastians Sachen aus dem oberen Fenster geworfen hatte, unvermittelt und auch für sie selbst überraschend, lieà sie zu, dass der Gedanke, der sich gerade angeschlichen hatte, verweilte.
Sie gestattete es sich, über sie nachzudenken.
Sie.
Hanny schaffte es nicht, ihren Namen auszusprechen. Armselig, ja, das wusste sie selbst. Aber ihre Stimmbänder, ihre Zunge, ihr Mund brachten es nicht fertig, ihren Namen zu formen.
Sie hatte sich schon immer gefragt, wieso ein so gut aussehender Mann wie Bastian sich ausgerechnet für sie, Hanny, entschieden hatte. Normalerweise suchte man sich doch einen Partner, der ähnlich attraktiv war wie man selbst. Und obwohl Hanny selbstverständlich fest daran glaubte, dass wahre Schönheit von innen kam, hatte sie doch immer das Gefühl gehabt, dass Bastian eigentlich in einer anderen Liga spielte. Von daher konnte sie es ihm gar nicht richtig verdenken, dass er ein bisschen streunte.
»Aber warum muss es ausgerechnet eine Frau sein, neben der ich mir vorkomme wie eine Wasserspeierfratze im Seidenkleid?«, fragte sie laut.
Der Klang ihrer eigenen Stimme beförderte sie zurück ins Hier und Jetzt.
Sie hielt immer noch den Pinsel in der Hand. Als sie auf die Staffelei sah, stellte sie fest, dass sie weitergemalt hatte. Sie seufzte und legte den Pinsel ab. Eigentlich hatte sie das Wunderschwein und seinen kleinen Freund bei einem Picknick malen wollen. Jetzt saà das Schwein mit Bastians Augen an einem gedeckten Tisch und speiste mit einem hässlichen Wasserspeier in einem gepunkteten, rosafarbenen Kleid.
Es überraschte Hanny selbst, dass sie lachen musste. Jai hatte recht, sie verkroch sich schon viel zu lange in diesem Haus.
Nancy lag neben dem Ofen und schlief tief und fest. Ein Auge riskierte sie, als Hanny nach ihr rief. Sie blinzelte hinaus, sah die immer noch nicht verschwundene Schneedecke, schloss das Auge wieder und tat, als würde sie schlafen.
»Ich gehe auf jeden Fall raus, ob du mitkommst oder nicht«, forderte Hanny sie heraus.
Nancy dachte kurz nach und fing dann an zu schnarchen.
Hanny trat vor die Haustür, hinaus in die Welt, sog die eisige Luft ein
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