Kannst du mir verzeihen
»Für Hanny. Die Liebe meines Lebens. Jetzt und immer. Bastian.«
Wie war das hier raufgekommen, Bastian hatte doch keine Schlüssel mehr, jedenfalls keine passenden? Also hatte er das Geschenk schon vor der ganzen Geschichte hier deponiert, wahrscheinlich dachte er, der Dachboden sei ein sicheres Versteck, damit sie es nirgends entdecken würde.
Hanny fackelte nicht lange, sie packte es sofort aus. Vorsichtig öffnete sie das Geschenkpapier an einem Ende und zog den Inhalt dann behutsam heraus. Es war ein Fotoalbum.
Hannys Hände zitterten, als sie auf der ersten Seite den Schriftzug las:
»Aus der Vergangenheit, für die Zukunft«
Die Seiten waren dick, steif und schwer vor lauter Fotos, die mit Erinnerungsstücken wie Valentinskarten, gepressten Blumen, Konzertkarten, Speisekarten und Zeitungsausschnitten zu Collagen zusammengestellt waren.
Die Fotos waren nicht einfach nur von ihnen beiden.
Es waren auch Fotos aus ihrer und seiner Kindheit.
Von ihren Familien.
Ihrer Mutter.
Midge.
Jai.
Sid.
Sogar Edith.
Und natürlich von ihnen beiden zusammen. Lachend. Glücklich.
All das füllte die erste Hälfte des Albums. Die zweite war leer und wartete nur darauf, weitere Fotos und Erinnerungsstücke in sich aufzunehmen.
Das Album war ganz wunderbar gestaltet. Bastian war nicht gerade ein superkreativer Bastler, und doch hatte er sich hingesetzt und mit liebevoller Sorgfalt geschnitten, genäht und geklebt. Wie viele Stunden, nein, Tage, er wohl darauf verwendet hatte?
Hanny blätterte zurück zu der Seite mit ihrer Mutter. Ihre Augen brannten. Dieses Mal versuchte sie nicht, die Tränen zurückzuhalten. Sie lieà ihnen freien Lauf. Es war so unendlich schade, dass Ruth und Bastian sich nicht mehr kennengelernt hatten. Ihre Mutter hätte ihn geliebt.
Hanny hatte ihn geliebt.
»Ich liebe ihn immer noch«, sagte sie laut und war selbst überrascht von dieser Erkenntnis.
Sie war so überrascht, dass sie mindestens zehn Minuten einfach auf dem Dachboden sitzen blieb und gar nichts tat. Erst, als Jai sie von unten rief, rührte sie sich wieder.
»Hallo? Bist du da oben eingeschlafen, oder was ist los?«
Sie blinzelte, als sei sie wirklich gerade aus einem sehr tiefen Schlaf erwacht.
Sie schluckte, wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht, spürte die salzige Nässe auf der Haut.
»Tut mir leid! Du weiÃt doch, wie das hier oben ist!«
»Ja, ja, dein altes Kuriositätenkabinett.« Jai lachte. »Brauchst du Hilfe?«
»Unbedingt«, seufzte Hanny leise.
Sie hatte sich selbst nicht gestattet, ihn zu vermissen, aber man konnte eben nicht ewig vor etwas davonlaufen.
Jais Kopf tauchte in der Luke auf. Hanny schlug das Album zu und schob es schuldbewusst zur Seite, als sei sie bei etwas Verbotenem erwischt worden. Jai sah, was sie so ungeschickt versteckte, sagte aber nichts. Stattdessen hievte er sich selbst auf den Speicher und sah sich erstaunt lächelnd in dem vollgestopften Raum um. Zuletzt blieb sein Lächeln an seiner ziemlich verheult aussehenden Freundin hängen.
»Jede Menge Erinnerungen, was?«
»Hat keinen Zweck, in der Vergangenheit zu leben ...« Hanny zuckte die Achseln.
»Stimmt. Und was ist mit der Zukunft? Was bringt die?«
»Keine Ahnung.« Hanny zuckte wieder die Achseln und bemühte sich vergeblich, unbeschwert zu klingen. »Ist ja die Zukunft. Liegt also noch vor uns. Und wenn nicht in einer dieser Kisten eine Glaskugel steckt ...«
»Würde es die hier nicht auch tun?« Jai zwinkerte ihr zu, griff in die nächste Kiste, holte eine groÃe goldene Kugel heraus und hielt sie Hanny so vor die Nase, dass sie das sparsame Licht der nackten Glühbirne reflektierte. Er rieb ein paarmal darüber und tat dann, als würde er hineinsehen.
»Hmmmm. Aaah! Ich glaube, ich sehe da was! Ich glaube ... Ich glaube ... Ich sehe da ein Gesicht ...« Er löste den Blick von der Kugel und sah Hanny aus seinen schelmisch blitzenden, schwarzen Augen an. »Ja, ganz klar. Es ist ein Mann. Ein extrem gut aussehender und intelligenter Mann.«
Hanny neigte den Kopf zur Seite und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Und ich glaube, das bist du ... Das ist dein Spiegelbild, mein Lieber.«
Jai lachte und warf ihr die Kugel zu. Hanny fing sie mühelos mit einer Hand.
»Komm schon, lass uns runtergehen und für die
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