Kanonenfutter
ihren jeweiligen Gruppen untergetaucht.
Bootsmann Timbrells Heißkommando hatte schon die Jolle ausgesetzt, und kurz darauf folgte ihr der Kutter über die Hängemattsnetze in das gegen die Bordwand klatschende Wasser. Plötzlich war für nichts anderes mehr Zeit. In der alle umhüllenden Dunkelheit stießen ein paar Hände vor für einen kurzen Klaps auf die Schulter, und einige Stimmen flüsterten Freunden oder Kameraden »viel Glück« oder »zeigt es ihnen« zu. Und dann lag auch das hinter ihnen, und die Bo ote, die bis dahin längsseits in der Dünung gedümpelt hatten, machten sich auf den Weg zur Insel.
»Bringen Sie das Schiff wieder in Fahrt, Mr. Gulliver.« Dumaresq drehte der See den Rücken zu, als hätte er sich Palliser und die beiden Boote schon aus dem Kopf geschlagen.
Bolitho sah Jury mit dem jungen Merrett sprechen und fragte sich, ob Merrett froh war, daß er an Bord bleiben durfte. Es war unglaublich, wieviel sich in diesen wenigen Monaten ereignet hatte, seit sie als Besatzung erstmals zusammengekommen waren.
Dumaresq trat leise heran. »Sie müssen noch warten, Mr. Bolitho. Ich wollte, ich könnte das Schiff für Sie beschleunigen.« Er lachte in sich hinein. »Aber es gab noch nie einen bequemen Weg zum Erfolg.« Bolitho berührte seine Narbe mit einem Finger. Bulkley hatte die Nähte entfernt, und trotzdem war er noch immer nicht sicher, ob ihn nicht wieder die heftigen Schmerzen packen würden und das gleiche Gefühl der Verzweiflung, das ihn ergriffen hatte, als er niedergehauen worden war.
Dumaresq sagte plötzlich: »Mr. Palliser und seine wackeren Leute sind jetzt auf halbem Wege. Aber ich darf nicht länger an sie denken, weder an sie als Untergebene, noch als Freunde, bis alles vorüber ist.« Er wandte sich ab und setzte nur noch kurz hinzu: »Eines Tages we rden Sie mich verstehen.«
Mut im rechten Augenblick
Bolitho versuchte, sich in der auf und ab tanzenden Pinasse zu erheben, und griff als Halt nach Stockdales Schulter. Trotz der nächtlichen Kühle und der Spritzer, die bei dem Seegang unaufhörlich über das Setzbord schlugen, war ihm heiß wie im Fieber. Je näher das Boot der kaum sichtbaren Insel kam, desto schwieriger wurde es. Und dabei hatten die Männer geglaubt, der erste Teil ihrer Fahrt, als sie vom Mutterschiff abgesetzt hatten und mit Einsatz aller Kräfte dem Ufer entgegengepullt waren, wäre der schlimmere Teil gewesen. Jetzt wußten sie es besser, nicht zuletzt der Dritte Offizier.
Anfangs nur gelegentlich, dann immer häufiger, rauschten sie an gischtübersprühten, gezackten Felsspitzen oder Korallenbänken vo rbei, wobei es oft den Anschein hatte, als ob diese und nicht das Boot sich bewegten.
Keuchend und fluchend mühten sich die Ruderer, gleichen Schlag zu halten, aber das wurde immer wieder unmöglich gemacht, wenn einer von ihnen seinen Riemen aus der Rundsei ziehen mußte, um zu verhindern, daß das Blatt an einer Felsspitze zersplitterte.
Das ständige Herumgeschleudertwerden machte das Nachdenken schwierig; Bolitho mußte sich sehr anstrengen, um sich Dumaresqs Anweisungen und Gullivers düstere Voraussagen für ihre letzte Wegstrecke in Erinnerung zu rufen. Kein Wunder, daß Garrick sich hier sicher fühlte. Kein größeres Schiff konnte es wagen, sich durch diesen Irrgarten von Korallenund Felsblöcken der Insel zu nähern. Für die Pinasse war es schon schwierig genug. Bolitho wagte gar nicht, an die vierunddreißig Fuß 13 lange Barkasse der Destiny zu denken, die ihnen irgendwo achteraus folgte. In dem Boot befanden sich Colpoys und seine Scharfschützen, ferner eine zusätzliche Ladung Schießpulver. Wie mochte es jetzt Pallisers großer Gruppe gehen, die an der Südwestseite der Insel abgesetzt worden war? Und was machten Bolithos eigene Männer an Bord? Dumaresq war nun knapp an Leuten. Wenn er angegriffen wurde, mußte er ausweichen. Der Gedanke, Dumaresq auf der Flucht zu wissen, war so absurd, daß er Bolitho irgendwie Kraft gab.
»Wahrschau! Direkt voraus!« Das war Bootsmannsmaat Ellis Pearse im Bug. Er war ein erfahrener Seemann und hatte den letzten Teil ihres Weges immer wieder mit Bleigewicht und Leine gelotet. Jetzt betätigte er sich auch als Ausguck, weil immer neue Felsen aus der Finsternis vo r ihnen auftauchten.
Der Lärm, den sie im Boot machten, schien so groß zu sein, daß man sie vom Ufer aus hören mußte. Doch Bolitho wußte aus Erfahrung, daß das Getöse der Brandung das Geklapper der Riemen und ihre
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