Kanonenfutter
den Ruf vom Ausguck im Masttopp, der ein entferntes Segel in Richtung Nord meldete. Sie hatten es schon zweimal an diesem Tag gesichtet, denn es war unwahrscheinlich, daß sich mehr als ein fremdes Schiff auf diesem abgelegenen Kurs befand.
Der Kommandant zuckte mit den Schultern. »Später.« Er verbreitete sich nicht weiter darüber, sondern fuhr fort: »Bis vor kurzem war nicht bekannt, daß damals ein zweites Schatzschiff nach Spanien unterwegs war. Es war die Asturias, und sie war größer als Ansons Prise und schwerer beladen.« Er warf dem Arzt einen Blick zu. »Ich sehe, Sie haben davon gehört?«
Bulkley lehnte sich zurück und verschränkte die Hände über seinem ansehnlichen Bauch. »Das habe ich, Sir. Die Asturia s wurde von einem britischen Freibeuter unter dem Kommando eines jungen Mannes aus Dorset, Kapitän Piers Garrick, angegriffen. Sein königlicher Kaperbrief rettete ihn mehrmals vor dem Galgen, an dem er als gemeiner Pirat gelandet wäre, und heute ist er Sir Piers Garrick, ein hochangesehener Mann und bis vor kurzem Inhaber mehrerer Regierungsämter in der Karibik.«
Dumaresq lächelte ingrimmig. »Das ist wahr, aber ich empfehle, daß Sie Ihre sonstigen Vermutungen auf den Bereich der Offiziersmesse beschränken. Die Asturia s wurde nie gefunden, und Garricks Freibeuter wurde bei der Auseinandersetzung so schwer beschädigt, daß er ebenfalls aufgegeben werden mußte.«
Er schaute irritiert in die Runde, als der Posten vor der Kajüte durch die Tür rief: »Midshipman der Wache, Sir!«
Bolitho konnte sich die Aufregung auf dem Achterdeck vorstellen: Sollten sie die Zusammenkunft unter ihren Füßen stören und Dumaresqs Unwillen in Kauf nehmen? Oder sollten sie das Verhalten des fremden Schiffes einfach in die Logkladde eintragen und das Beste hoffen?
Dumaresq sagte: »Soll hereinkommen!« Er schien seine Stimme nicht ein bißchen zu heben, und doch drang sie mühelos bis zum vo rderen Teil der Kajüte.
Es war Midshipman Cowdroy, ein sechzehn Jahre alter Bursche, den Dumaresq schon einmal wegen unnötiger Strenge gegen Leute seiner Wache bestraft hatte.
Er sagte: »Meldung von Mr. Slade, Sir: Der Ausguck hat das fremde Segel wieder in nördlicher Richtung gesichtet.« Er schluckte vor Aufregung und schien unter dem Blick des Kommandanten zusammenzuschrumpfen.
Dumaresq sagte schließlich: »Verstanden. Aber wir werden nichts unternehmen.« Als die Tür sich hinter Cowdroy geschlossen hatte, setzte er hinzu: »Obwohl ich annehme, daß der Fremde nicht rein zufällig hinter uns hersegelt.«
Auf der Back wurde die Schiffsglocke angeschlagen. Dumaresq fuhr unbeirrt fort: »Nach neuesten, zuverlässigen Informationen ist der größte Teil des Schatzes noch vorhanden: eineinhalb Millionen in Goldbarren.«
Sie starrten ihn an, als hätte er eine ungeheuerliche Obszönität von sich gegeben.
Rhodes faßte sich als erster. »Und wir sollen ihn finden, Sir?« Dumaresq lächelte ihn an. »Wie Sie es ausdrücken, klingt es sehr einfach, Mr. Rhodes, und vielleicht finden wir ihn auch einfach so. Aber solch ein riesiger Schatz hat sicherlich bereits einiges Aufsehen erregt. Die Dons werden ihn als rechtmäßiges Eigentum reklamieren. Ein Prisengericht wird dagegen vielleicht argumentieren, daß das Schiff bereits von Garrick erobert war, bevor es flüchten und sich verbergen konnte. Der Goldschatz sei damit Eigentum Seiner Britischen Majestät.« Er senkte die Stimme. »Und dann gibt es noch andere, die gern die Hand darauf legen und einen Fall daraus machen wü rden, der uns nichts als Unheil bringen dürfte. So, meine Herren, jetzt wissen Sie Bescheid. Unser Auftrag heißt nach außen hin, daß wir einen Auftrag des Königs erledigen. Aber wenn die Nachricht von dem Schatz sich plötzlich überall herumgesprochen hat, möchte ich wissen, wer dahintersteckt.«
Palliser erhob sich, vergaß dabei aber nicht, den Kopf einzuziehen, der sonst an die Decksbalken gestoßen wäre. Die übrigen taten es ihm nach.
Dumaresq wandte sich um und schaute auf die glitzernde See, die sich achteraus bis zum Horizont erstreckte.
»Wir segeln zunächst nach Rio. Dort hoffe ich, mehr zu erfahren.« Bolitho hielt den Atem an. Südamerika, Rio de Janeiro, das lag über fünftausend Meilen von Falmouth entfernt. So weit weg von zu Hause war er noch nie gewesen.
Als sie Anstalten machten zu gehen, sagte Dumaresq: »Mr. Palliser und Mr. Gulliver bleiben noch hier.«
Palliser rief Bolitho nach: Ȇbernehmen Sie
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