Kanonenfutter
bitte meine Wache, bis ich Sie ablöse!«
Sie verließen die Kajüte, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Ihr ferner Bestimmungsort würde den Matrosen ziemlich gleichgültig sein. Ob nah oder fern, überall war Ozean, immer blieb das Schiff sich gleich. Da mußten Segel gesetzt, getrimmt, geborgen werden – was auch geschah, am harten Leben des Seemanns änderte sich nicht viel, ob nun England oder die Arktis ihr Ziel war. Aber wenn erst das Gerücht über einen Goldschatz im Schiff herum war, mochte sich manches ändern.
Als er zum Achterdeck hinaufstieg, bemerkte Bolitho, daß die Le ute, die sich zur Wachablösung versammelten, ihn neugierig anschauten, aber wegsahen, wenn sein Blick auf sie fiel. Es hatte den Anschein, daß sie schon alles wußten.
Slade berührte seinen Hut: »Die Wache ist angetreten, Sir.«
Er war ein harter Steuermannsmaat und bei vielen Leuten unbeliebt, besonders bei denen, die seinen hohen Anforderungen an seemännisches Können nicht gerecht wurden.
Bolitho wartete, daß die Leute am Ruderrad abgelöst wurden, der übliche Vorgang bei Übergabe einer Wache. Ein Blick dann nach oben zum Stand der Segel und Rahen, Überprüfung des Kompasses und der Notizen, die der Midshipman der Wache mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben hatte.
Gulliver kam an Deck und preßte die Handflächen zusammen wie immer, wenn er nervös war.
Slade fragte: »Schwierigkeiten, Sir?«
Gulliver sah ihn nachdenklich an. Es war zu kurze Zeit her, daß er selber sich noch in Slades Stellung befunden hatte, um die Bemerkung als harmlos anzusehen. Wollte Slade sich damit beliebt machen? Oder sollte anklingen, daß er sich schon den Offizieren der Messe zugehörig fühlte?
Er befahl kurz: »Beim nächsten Wechsel des Halbstundenglases werden wir Kurs ändern.« Er warf einen Blick auf den kardanisch aufgehängten Kompaß. »Neuer Kurs dann Südwest zu West. Der Kommandant beabsichtigt, die Bramsegel zu setzen, obwohl ich bezweifle, daß wir ihr bei diesem leichten Wind damit auch nur einen weiteren Knoten herauskitzeln können.«
Slade schielte zum Ausguck im Vortopp hinauf. »Das fremde Segel hat also doch etwas zu bedeuten.«
Pallisers Stimme eilte ihm beim Hochkommen auf dem Niedergang voraus: »Es bedeutet, Mr. Slade, daß – wenn das Segel morgen früh immer noch da ist – es uns tatsächlich verfolgt.«
Bolitho bemerkte Besorgnis in Gullivers Blick und erriet, was Dumaresq ihm und Palliser gesagt haben mochte.
»Ich nehme an, wir können nichts dagegen unternehmen, Sir. Wir sind nicht im Krieg.«
Palliser sah ihn ruhig an. »Wir können eine ganze Menge dagegen tun.« Er nickte, um diese Feststellung zu bekräftigen. »Seien Sie also auf alles gefaßt.«
Als Bolitho sich anschickte, das Achterdeck Pallisers Aufsicht zu überlassen, rief dieser ihm nach: »Und ich werde genau darauf achten, wie lange Ihre Bummelanten brauchen, wenn ich alle Mann zum Bramsegelsetzen rufen lasse!«
Bolitho deutete eine Verbeugung an. »Es wird mir eine Ehre sein, Sir.«
Rhodes erwartete ihn unten auf dem Batteriedeck. »Gutgemacht, Dick. Er wird Sie respektieren, wenn Sie ihm kontra geben.«
Sie gingen nach achtern zur Messe, und Rhodes sagte: »Sie wissen, daß unser ›Herr und Meiste‹ beabsichtigt, das andere Schiff aufzubringen, nicht wahr, Dick?«
Bolitho warf seinen Hut auf eine der Kanonen und ließ sich am Tisch nieder.
»Ich nehme es an.« Seine Gedanken wanderten wieder zurück zu den Klippen und Buchten von Cornwall. »Voriges Jahr, Stephen, machte ich Vertretungsdienst auf einem Zollkutter.«
Rhodes wollte gerade eine witzige Bemerkung dazu machen, als er in Bolithos Augen aufsteigenden Kummer gewahrte.
Bolitho sagte: »Es gab da einen Mann, einen großen und angesehenen Gutsbesitzer. Er starb bei dem Versuch, aus dem Lande zu flüchten. Ihm war nachgewiesen worden, daß er Waffen für den Aufstand in Amerika geschmuggelt hatte. Vielleicht denkt der fremde Kommandant, hier liege ein ähnlicher Fall vor, und all die Jahre habe das Gold nur auf die richtige Verwendung gewartet.« Überrascht von seinem eigenen Ernst, zog Bolitho ein Gesicht. »Aber lassen Sie uns über Rio sprechen. Ich freue mich schon darauf.«
Colpoys schenderte herein und ließ sich umständlich auf einem Stuhl nieder.
Er sagte zu Rhodes: »Der Erste Offizier läßt Ihnen sagen, Sie möchten einen Midshipman zur Schreibarbeit in der Kajüte abstellen.« Er schlug die Beine übereinander und bemerkte spöttisch:
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