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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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treibenden Quantennebels, aber eine Milliarde Jahre später fanden alle Teile von Körper und Geist wieder zusammen, wie Elementarteilchen, die von Bindungskräften an die »richtigen« Stellen gelenkt wurden. Er öffnete die Augen und sah …
    Das Nichts, nur zwanzig Zentimeter von ihm entfernt: absolute Leere, eine Nulldimension ohne Ausdehnung und ohne Zeit, formloses Grau, das keine eigene Farbe hatte, sondern durch die Abwesenheit von Farbe grau wurde. Valdorian streckte die Hand aus, um das Grau zu berühren, zog sie jedoch erschrocken zurück, als die Finger darin verschwanden. Als er die Hand vor die Augen hob, fehlten die Finger noch immer, wuchsen aber langsam nach, ohne dass er etwas fühlte, als kehrten die Finger aus der Vergangenheit zurück.
    »Was ist dies für ein Ort?«
    Valdorian blickte zur Seite und sah Jonathen einige Meter entfernt stehen, auf einem weißen Etwas, das von zahllosen dünnen, wie Haarrisse wirkenden Linien durchzogen war.
    »Es ist kein Ort « , sagte Valdorian. »Wir sind nirgendwo und nirgendwann.«
    Hinter ihnen ragten jene eisblumenartigen Gebilde empor, die sie auf Kabäa gesehen hatten, und plötzlich wusste Valdorian, woraus sie bestanden: aus kondensierter Zeit.
    »Leben wir noch?«, fragte Jonathan unsicher. Valdorian hielt die Frage zunächst für absurd, aber als er genauer darüber nachdachte, wurde die Suche nach einer Antwort immer schwerer.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte er schließlich. »Ich denke schon.« Er sah sich um. »Vielleicht ist dies eine der Pforten, durch die zu Beginn des Zeitkriegs vor fast zweitausend Jahren die Temporalen kamen.« Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, und als er sich dem Zeitkondensat näherte, fühlte er ein zunehmendes Zerren. Er verharrte und betrachtete die kristallartigen Strukturen. »Wie die Fraktale der La-Kimesch«, sagte er. »Muster, die sich ständig wiederholen, dabei immer kleiner werden, bis hinab in den molekularen und atomaren Bereich.«
    Zeit, dachte er fasziniert. Hier kann man sie tatsächlich berühren. Hoffnung erwachte in ihm. Die Kantaki wollten ihm nicht helfen, aber vielleicht konnte er sich selbst helfen, hier, im Inneren der Anomalie. Wie? Wenn es ihm gelang, irgendwie kontrollierten Einfluss auf die Zeit zu nehmen …
    Etwas geschah. Ein Flüstern kam aus der Ferne, die angesichts des nahen Nichts gar nicht existieren konnte, schwoll rasch an und wurde zu einem Schrillen, das Jonathan und Valdorian veranlasste, die Hände an die Ohren zu pressen. Risse fraßen sich durch die Eisblumen der kondensierten Zeit, und sie barsten, bildeten einen Regen aus Splittern, die Valdorian durchdrangen, ohne ihn zu berühren. Bewegung entstand in dem Untergrund mit den haarfeinen Linien. Der Rand neigte sich nach oben, der mittlere Bereich – dort, wo die Zeitkondensate sich befunden hatten – wölbte sich nach unten. Valdorian dachte an einen sich schließenden Blütenkelch. Er verlor das Gleichgewicht in einer Umgebung ohne Gravitation oder eine ähnliche Kraft, rutschte und fiel …
    Und fiel … tausend Jahre lang, oder vielleicht auch zehntausend. Welche Eindrücke auch immer seine Sinne empfingen: Das Gehirn war nicht in der Lage, die ihm unverständlichen Daten zu verarbeiten und umzusetzen. Valdorian sah und hörte nichts, und eine Zeit lang, Sekunden oder Jahrtausende, war er auch dankbar dafür, denn es bedeutete, dass nicht die Gefahr bestand, dem Wahnsinn anheim zu fallen.
    Dann schwebte er plötzlich über einem Planeten, gewichtslos wie eine Wolke über einer Welt, die noch kein Mensch betreten hatte, aber nicht ohne Leben war. In den Meeren existierten bereits komplexe Organismen; nach und nach breitete sich die Biosphäre auf den zunächst noch sterilen Kontinenten aus. Neue Lebensformen entstanden, an spezielle Biotope angepasst, unterlagen im Wettbewerb der Evolution und starben wieder aus. Ganze geologische Zeitalter verstrichen innerhalb weniger subjektiver Sekunden, während Valdorian das Geschehen beobachtete, obwohl er gar keine Augen hatte – der Körper befand sich irgendwo im temporalen Labyrinth und wartete dort auf die Rückkehr des Geistes.
    Kann ich unter solchen Umständen überhaupt feststellen, ob ich noch lebe oder tot bin?, dachte er und beschloss dann, sich nicht mit solchen Frage zu verwirren, die ohnehin müßig blieben. Das Gefühl sagte ihm: Er raste durch einen von Myriaden Zeittunneln im Inneren des Labyrinths, durch einen jener Tunnel, die die Temporalen

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