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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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den Eindruck, dass sein Sekretär noch etwas sagen wollte. Doch dann überlegte er es sich anders und schwieg.
     
     
    Drei
     
    Etwas zerrte an der Verbindung zwischen Körper und Geist und versuchte, sie zu zerreißen. Gedanken und Gefühle dehnten sich wie Gummibänder, schnappten zurück und wickelten sich umeinander. Mentale Knäuel entstanden, Knoten im Gewebe der Seele. Valdorian erwachte nicht, aber er schlief auch nicht mehr. Woraus auch immer das Mittel bestand, das Gijül ihnen gegeben hatte: Es bot kaum mehr Schutz vor den Auswirkungen des Sprungs. Die Schockwelle entzündete neuerliches Feuer in den Nervenbahnen, in jeder einzelnen Zelle, schien gleichzeitig den Geist vom Körper zu lösen. Valdorian glaubte, durch das Horgh-Schiff zu fliegen, ohne von Stahlwänden, Rohrgeflechten und anderen Dingen aufgehalten zu werden. Er raste umher, durch hell erleuchtete Segmente und stockfinstere Bereiche, ohne dass ihn Licht blendete oder die Dunkelheit Einzelheiten vor ihm verbarg. Er spürte, wie die Energie des Sprunggenerators ein Loch in die Struktur der Raum-Zeit riss, brutal und rücksichtslos, wie das Schiff durch die Öffnung glitt und für einen Moment im Nichts verharrte, in einer Sphäre ohne Zeit, um dann ins normale Raum-Zeit-Kontinuum zurückzufallen, Lichtjahre vom Ausgangspunkt entfernt. Valdorians Ich ritt auf den Wogen dieser Energie, während sein Körper litt. Als sie schwächer wurde, wollte er ihr folgen und eins werden mit dem energetischen Flüstern, das sich vom Kühnen Reisenden entfernte. Doch die Dynamik des Sprungs zwang sein Selbst, das noch immer mit dem Leib verbunden war, zurück zum und ins Schiff.
    Er sah … den Mann auf der Wiese, wie er sich bückte, um eine Blume zu pflücken, und er rief ihm zu, sie nicht zu berühren, sie blühen und leben zu lassen, aber der Mann hörte ihn nicht, und einmal mehr trug der Wind Blütenblätter fort, und mit ihnen Schönheit …
    Er sah die Nester der Horgh, glitzernde Gebilde aus Synthomasse und Metall. Er sah, wie sich große und kleine Horgh von Stangen und schwebenden Plattformen abstießen, sich von ledrigen Flügeln tragen ließen, die zwar nur wenig Auftrieb erzeugten, mit denen man den Flug aber sehr gut steuern konnte. Er sah tausend Dinge und verstand sie, ohne sie zu verstehen, berührte sie, obwohl sein Körper im Passagierraum lag und von innen her verbrannte, sah ohne Augen und hörte ohne Ohren, während sein von der Schockwelle fortgeschleudertes Selbst gar nicht bestrebt war, in den Körper zurückzukehren. Plötzlich fielen ihm Worte ein, die er vor langer Zeit gehört hatte, aus dem Mund von Lidia, obwohl sie nicht von ihr stammten. Das Leben ist ein Traum, und der Tod bringt Erwachen. Und wenn es stimmte? Warum dann das Ende fürchten und sich dagegen wehren? Vielleicht gab es tatsächlich etwas danach. Und vielleicht ähnelte jenes Etwas seinen derzeitigen Erfahrungen.
    Aber Valdorian hatte damals nicht daran geglaubt, und er glaubte auch heute nicht daran. Er war vom begrenzten Sein überzeugt, so wie seine achtzehn Vorgänger im Mausoleum von Tintiran. Nein, das stimmte nicht. Er war vom Sein überzeugt. Von einem unbegrenzten Sein. Davon war er überzeugt gewesen. Er hatte sein ganzes Leben so gelebt, als gäbe es keine Grenzen, als wäre er unsterblich. Eine Existenz mit unendlich viel Zeit und damit auch unendlich vielen Möglichkeiten. Jetzt stand er am Rande dieser seiner Existenz, vor dem letzten aller Abgründe, einer tiefen Schlucht, in die er endlos fallen würde, ohne Hoffnung auf Rückkehr. Etwas drückte ihn der Schlucht entgegen, während etwas anderes in ihm versuchte, Einfluss auf Beine und Füße zu nehmen, um in die Richtung zurückzukehren, aus der er kam. Er …
     
    Vier
     
     … befand sich in einer Welt, die nur noch aus Schmerz bestand. Wieder raste sein Selbst durchs Schiff, einem geistigen Wesen gleich, das versuchte, aus einem materiellen Käfig zu entkommen. Er flog durch die brodelnde Energie, die sich im Sprunggenerator ansammelte und dazu diente, das zarte Gewebe der Raum-Zeit zu zerfetzen, um das Sprungschiff über Lichtjahre hinweg zu transferieren. Er glitt über den stählernen Rumpf des Schiffes, aber Kälte und Vakuum des Alls konnten das Feuer nicht aus ihm vertreiben. Es brannte weiter und hüllte jeden einzelnen Gedanken in glühende Hitze.
    Der letzte Abgrund lockte mit kühler Schwärze.
    Und doch klammerte sich etwas am Diesseits fest, die Verbissenheit eines Instinkts,

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