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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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»Vielleicht ist Ihre Zeit noch nicht gekommen …« Sie suchte nach geeigneten Worten und wusste gleichzeitig, dass sie tatsächlich wie ein Mensch und deshalb falsch reagierte. Für die Kantaki gab es keinen Tod in dem Sinne. Das Ende ihres Lebens bedeutete vielmehr einen Übergang, gewissermaßen eine Rückkehr.
    »Jeder von uns weiß, wann es so weit ist.« Mutter Krir stakte würdevoll durch den Korridor, begleitet vom Summen verborgener Aggregate. Türen öffneten sich und gaben den Weg frei in Bereiche des Schiffes, die Lidia selbst nach all den Jahren an Bord noch nie betreten hatte. Sie näherten sich dem Bug des Schiffes, einem Dorn, der von dort aus nach vorn zeigte. »Ich habe lange gelebt, länger als manche und nicht so lange wie andere. Der Geist ruft mich jetzt, damit ich ihm von meinem Leben erzähle.«
    »Mutter Krir …«
    Wieder berührte die Kantaki ihre Pilotin, und Lidia spürte nicht nur diesen physischen Kontakt, sondern auch noch etwas anderes: Ein fremdes Selbst, unglaublich komplex, streifte wie zärtlich ihre Gedanken.
    »Sei nicht traurig, Diamant. Unsere Wege trennen sich jetzt, aber nicht für immer. Wir begegnen uns bestimmt wieder.«
    Doch der Kummer wollte nicht aus Lidia verschwinden und schwebte wie eine düstere Wolke über ihrem Gemüt. In den vergangenen sechsundzwanzig Jahren war Mutter Krir zu einer Säule ihres Lebens geworden, zu einem festen Bestandteil ihrer Existenz als Pilotin.
    Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals irgendein anderes Schiff zu fliegen oder für einen anderen Kantaki zu navigieren.
    »Zwischen uns ist ein besonderes Band gewachsen«, sagte Mutter Krir und schien Lidias Gedanken zu lesen. »Wir sind wie Schwestern im Geiste. Und deshalb musst du mir glauben, wenn ich dir sage: Das Ende meines Lebens sollte kein Anlass für dich sein zu trauern. Sieh die Dinge mit Kantaki-Augen, Kind: Ich gehe jetzt der Erfüllung meiner Existenz entgegen, und das ist ein Grund zur Freude.«
    So sehr sich Lidia auch bemühte, Mutter Krirs Standpunkt zu teilen: Etwas schnürte ihr den Hals zu, und sie brachte keinen Ton hervor.
    Schließlich erreichten sie eine große, aus fünf Segmenten bestehende Tür, und auf jedem dieser Segmente bemerkte Lidia eine Gruppe aus fünf Symbolen. Inzwischen kannte sie ihre Bedeutung – sie kündeten von den fünf Großen Kosmischen Zeitaltern.
    Ein Akuhaschi wartete vor der Tür, wie für ein festliches Ritual gekleidet, und reichte der Kantaki mehrere bunte Stoffbahnen. Mutter Krir nahm sie mit bedächtigen Bewegungen entgegen, befestigte sie hier und dort an Gliedmaßen und Körper. Eine mattere Fluoreszenz als sonst glitt über Hals und Kopf, vermittelte Lidia den Eindruck von Greisenhaftigkeit.
    Mutter Krir streckte ein Bein, und diese Geste galt einer kleineren Tür auf der linken Seite. »Der Raum des Abschieds«, klickte sie. »Von dort aus kannst du sehen, wie ich zu meinem letzten Flug aufbreche. Mit deiner Gegenwart erweist du mir eine große Ehre.«
    Der Akuhaschi ging, verschwand hinter ihnen in den Schatten des Korridors.
    Lidia wollte etwas sagen, vielleicht um Mutter Krir doch noch von ihrem Vorhaben abzubringen, aber ein Kloß im Hals hinderte sie daran.
    »Doch bevor ich gehe, Diamant …« Die Kantaki senkte den dreieckigen Kopf, und ihre multiplen Augen glänzten, als sie Lidia ansah. »Du hast noch einen langen Weg vor dir, und ich möchte dir einen Rat geben. Beschreite ihn nicht allein. Du bist einsam.«
    Lidia musste zugeben, dass Mutter Krir Recht hatte. Seit ihre fünf Kinder nicht mehr an Bord waren, fühlte sie sich tatsächlich sehr allein.
    »Du brauchst einen Konfidenten, einen Partner«, fuhr die Kantaki fort. »Jemanden an deiner Seite. Jemanden, den du lieben kannst und der dich liebt.«
    »Ich …  kenne niemanden.« Erinnerungen erwachten in ihr, wie flüsternde Stimmen aus der Vergangenheit.
    »Das ist Teil deines Problems«, klickte Mutter Krir. »Als Pilotin meines Schiffes bist du all die Jahre über von anderen Menschen isoliert gewesen, und bei deinen wenigen Aufenthalten auf Planeten und in Raumstationen hast du kaum die Gesellschaft deiner Artgenossen gesucht. Dies ist mein Rat: Kehre heim nach Tintiran und lehre in der Sakralen Pagode von Bellavista. Das wird dir Gelegenheit geben, andere Personen kennen zu lernen. Vielleicht findest du so jemanden, der dein Konfident werden kann. Und nun …«
    Mutter Krir richtete sich wieder auf, streckte ein Glied aus und berührte Lidia zum letzten

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