Kantaki 01 - Diamant
weiter, aber Lidia achtete nicht auf die Worte, betrachtete durch das Gerät vor ihren Augen sein Gesicht. Valdorian war jetzt einhundertsechs Jahre alt, aber er sah aus wie Ende vierzig, was er sicher einigen Resurrektionen verdankte. Sie hatte gehört, dass er vor allem deshalb hierher gekommen war, um sich in dem neuen Medo-Zentrum einer umfassenden Zellerneuerung zu unterziehen. Alles andere war Beiwerk, eine günstige Gelegenheit, sich in Szene zu sehen. Das hatte er inzwischen gelernt. Im Gesicht dieses älteren, reiferen und erfahreneren Valdorian hielt Lidia nach dem Mann Ausschau, den sie vor neunundsiebzig Jahren auf Tintiran kennen und lieben gelernt hatte – trotz allem. Und sie glaubte, tatsächlich etwas von diesem Mann zu sehen, hinter der Maske, die er nun trug. Sie verglich ihn mit dem anderen Mann, den sie im Plurial gesehen hatte, in einem alternativen Kosmos, Vater von Leonard und Francy, und auch mit dem Bettler, mit dem Gesicht des uralten Greises unter der Kapuze. Eine seltsame Melancholie entstand in ihr, verbunden mit der Frage, ob er sich heute, nach fast acht Jahrzehnten, überhaupt noch an sie erinnerte. Vielleicht war das der Grund, warum sie nicht von ihm gesehen und erkannt werden wollte, warum sie diese Gelegenheit – sie befanden sich zur gleichen Zeit auf dem gleichen Planeten und in der gleichen Stadt – nicht zu einer persönlichen Begegnung nutzte, die vielleicht möglich gewesen wäre. Vielleicht fürchtete sie eine Enttäuschung, wenn sie in jenen großen grauen Augen nicht das Licht des Wiedererkennens und der Freude gesehen hätte. Sie tastete nach dem Diamanten, den sie an einer Halskette trug, unter Jacke und Hemd. Er blieb kühl, reagierte nicht auf die Nähe des kognitiven Zwillingskristalls. Vielleicht trug Valdorian ihn nicht bei sich; möglicherweise hatte er ihn längst weggeworfen oder zerstört.
Das K-Gerät zog sich an den Kragen zurück, ohne dass sich Lidia an eine gedankliche Anweisung erinnerte. Hatte es einen Wunsch registriert, der ihr nicht bewusst geworden war?
Sie seufzte leise, drehte sich um und bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Menge, die erneut klatschte. Am Rande des Platzes bemerkte sie eine leere Kommunikationsnische, betrat sie und machte von einem anderen K-Gerät Gebrauch. Es ähnelte einem der auf allen Menschenwelten gebräuchlichen Identer und verfügte nicht nur über einen autoadaptiven Kommunikationsservo, sondern auch über eine Kreditschnittstelle, die es ihr erlaubte, Zahlungen in – fast – unbegrenzter Höhe vorzunehmen. Die Kantaki verdienten viel mit ihren interstellaren Transporten, und sie entlohnten ihre Piloten sehr großzügig.
Der Abtaster des Nischenservos bestätigte sofort die Authentizität der Karte. »Bereitschaft«, erklang seine synthetische Stimme.
»Informationsanfrage«, sagte Lidia. »Ich möchte biografische Daten über Rungard Avar Valdorian.«
»Bestätigung«, antwortete der Datenservo, und das Display leuchtete auf. Ein Menü mit Optionen erschien, und Lidia entschied sich für eine einfache dreidimensionale Präsentation. Pseudoreale Bilder leuchteten, untermalt von einer neutral klingenden Stimme, die mit einem detaillierten Vortrag begann und Valdorians Lebensweg in allen Einzelheiten schilderte.
Nach einer halben Minute unterbrach Lidia den Datenservo. »Bitte nur die wichtigsten biografischen Daten.«
»Bestätigung.« Ein neuer Vortrag begann, wesentlich knapper als der erste. Lidia erfuhr, wann und wo Rungard Avar Valdorian geboren war – das wusste sie bereits –, und der Datenservo schilderte seinen Aufstieg im Konsortium. Sie hörte zu, während im Hintergrund noch immer Valdorians Stimme aus den Lautsprechern des Platzes drang. Schließlich hörte Lidia etwas, das ihre besondere Aufmerksamkeit weckte. »Am zweiundzwanzigsten Juli 369 SN heiratete Valdorian Madeleine Kinta, Tochter von Christopher Kinta, Präsident der Kinta Enterprises. Aus dieser Ehe ging am vierzehnten Mai 372 SN ein erster Sohn hervor, Benjamin, und vor wenigen Tagen, am dritten Juli dieses Jahres, wurde ein zweiter geboren, Rion.«
Er hat geheiratet, dachte Lidia und deaktivierte das Display, ohne sich den Rest anzuhören. Vor elf Jahren. Sie zog die K-Karte aus dem Abtaster und steckte sie ein. Und er hat zwei Kinder. Aber sie hießen nicht Leonard und Francy, und eine andere Frau teilte sein Leben mit ihm.
Lidia trat aus der Nische, blieb am Rand des Platzes stehen und sah zum Festpodium, ohne noch
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