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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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fernen Welt.«
    Lidia probierte ein Stück und hob erstaunt die Brauen. Der Geschmack des Gebäcks erinnerte sie an den Vanillepudding ihrer Mutter; als Kind war sie verrückt danach gewesen. Die Erinnerung an Carmellina Diaz, die allein gestorben war, wurde zu einem Schatten, der sich auf ihr Gesicht legte.
    Esmeralda beugte sich kurz vor, berührte ihre Hand und lehnte sich dann an einen Kissenstapel neben der transparenten Wand. Der Mondschein gab ihren Zügen etwas elfenhaft Zartes, und die blauen Augen leuchteten. »Seit neunundsiebzig Jahren fliegst du Kantaki-Schiffe, und das bedeutet für jeden Piloten Zufriedenheit. Und doch bist du traurig. Woraus folgt, dass dir etwas fehlt. Oder jemand. Willst du mir davon erzählen? Manchmal verschafft es Erleichterung, die Dinge in Worte zu fassen. Und glaub mir: Ganz gleich, was du mir erzählst – ich verstehe es. Ich habe dir mehr als sechshundert Jahre voraus.«
    Lidia wusste nicht, ob es an dem Getränk lag oder am Gebäck, das nach dem Vanillepudding ihrer Mutter schmeckte, oder an Esmeraldas entwaffnender Freundlichkeit. Sie hielt ihr Glas in beiden Händen, blickte in die giftgrüne Flüssigkeit, die noch immer wie flüssiger Sprengstoff wirkte, und begann zu erzählen. Sie berichtete von Tintiran, von Valdorian und ihren Lebenswegen, die sich voneinander getrennt hatten, von den anderen Männern, mit denen sie eine – meist kurze – Beziehung eingegangen war. Sie wies auch darauf hin, dass sie Valdorian vor wenigen Stunden gesehen hatte, auf dem Festpodium in Sirkand. Reiner Zufall, meinte sie.
    »Ich glaube nicht, dass es Zufall war«, sagte Esmeralda. »Unser Unterbewusstsein spielt uns manchmal die seltsamsten Streiche, wie du sicher weißt. Vielleicht wollte es dich an die Entscheidung erinnern, die du damals getroffen hast. Vielleicht wollte es dir etwas zeigen.«
    »Was denn?«
    »Liebst du ihn noch?«
    Die Frage erschien Lidia absurd. »Wie kann man jemanden lieben, mit dem man vor fast achtzig Jahren zum letzten Mal gesprochen hat und der längst eine ganz andere Person geworden ist?«
    Esmeralda lachte. Es klang nicht spöttisch, nur amüsiert, und auch weise.
    »In meinem langen Leben gab es viele Männer, und mehr als zwanzig von ihnen habe ich wirklich geliebt, jeden einzelnen auf eine andere Weise. Und ich liebe sie noch immer, auch wenn die meisten von ihnen längst tot sind. Liebe vergeht wie Rauch, heißt es manchmal, und das stimmt – wenn man das Feuer ausgehen lässt. Aber wenn man es schürt, oder wenn etwas anderes dafür sorgt, dass es immer weiter brennt? Was dann? Vielleicht liebst du Valdorian noch immer – das kannst nur du allein wissen –, und eine unerfüllte Liebe ist so ziemlich der schwerste Ballast, den man im Leben mit sich tragen kann.« Sie griff nach der Karaffe und füllte die beiden Gläser. Lidia trank und genoss die sonderbare Stimulierung der Sinne, die nichts mit einem Rausch zu tun hatte.
    »Aber möglicherweise geht es bei deiner Trauer gar nicht um Valdorian, sondern um etwas ganz anderes«, fuhr Esmeralda fort. »Vielleicht siehst du dich dem gleichen Problem gegenüber, mit dem ich es damals zu tun hatte. Ich nenne es Adäquatheit .«
    »Was hat es damit auf sich?«, fragte Lidia. Sie sah Esmeralda an, doch aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass das Luftschiff wirklich an Höhe verlor – es handelte sich nicht mehr um einen vom Zoom-Effekt hervorgerufenen Eindruck. Es sank dem See tief unten im fast neunzig Kilometer durchmessenden Vulkankraters entgegen.
    »Für uns Kantaki-Piloten ist es schwer, einen geeigneten Partner zu finden, denn wir führen ein besonderes Leben. Aber es wird um so schwerer, je älter man wird, denn die Distanz wächst. Das hast du sicher schon gespürt, nicht wahr? Fast alle alten Kantaki-Piloten verbringen den größten Teil ihrer Zeit im Transraum, und wer außer einem Piloten könnte so etwas aushalten? Die Anzahl der als Begleiter und Partner infrage kommenden Personen ist klein, und sie schrumpft weiter, je älter wir werden. Ich bin über siebenhundert Jahre alt. Was soll ich mit einem zwanzig, dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre alten Mann anfangen? Oh, ich kann natürlich mit ihm ins Bett springen, und gelegentlich tue ich das auch – und es macht Spaß! Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man auch mal miteinander reden sollte. Und worüber könnte ich mit so unerfahrenen Personen sprechen? Von praktisch allen Dingen, die mir vertraut sind, haben sie nicht die

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