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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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weiß es nicht genau«, sagte Jonathan. »Seit einigen Stunden. Geht es Ihnen besser?«
    Der Schmerz brannte nach wie vor in Valdorian, und ohne das Sedativ des Injektors gab es keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. Er sah sich mit einer ganz besonderen Ironie des Schicksals konfrontiert: Hier an Bord des Kantaki-Schiffes befand er sich außerhalb des Zeitstroms, was bedeutete, dass er nicht alterte – die genetische Destabilisierung wirkte sich an diesem Ort nicht aus. Aber sein Zustand verbesserte sich keineswegs. Im Schmerz gefangen, bis in alle Ewigkeit – entsprach das nicht der Definition der Hölle?
    »Kaum«, sagte er, trank erneut und sah zur immer noch schlafenden Esmeralda. Er erinnerte sich daran, darauf bestanden zu haben, im Pilotendom des Schiffes zu bleiben – er hatte es abgelehnt, Quartier in einem anderen Bereich des Raumschiffs zu beziehen, aus Furcht davor, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. »Was ist mit dem Schiff?«
    Jonathan wandte sich halb von der Konsole ab und deutete an den gewölbten Wänden empor. Mehrere Projektionsfelder zeigten einen Spiralarm der Milchstraße, und Valdorian glaubte, die scheinbare Bewegung von Sternen zu erkennen – die Geschwindigkeit des Schiffes musste enorm hoch sein.
    »Der Pilotin ist es gelungen, nach dem Tod des Kantaki alle Systeme des Schiffes zu stabilisieren. Die Transportblase blieb im Orbit eines Grekki-Planeten zurück, um dort später von einem anderen Kantaki-Schiff übernommen zu werden. Während der Instabilitätsphase gingen mehrere Passagierkapseln verloren.« Jonathan seufzte leise. »Weitere Todesopfer«, fügte er hinzu. »Nun, derzeit fliegen wir durch einen so genannten Prioritätskorridor in Richtung eines Kommunikationsknotens. Das ist ein besonderer Punkt im Kom-Netz der Kantaki, der es ihnen erlaubt, allen Schiffen Nachrichten zu übermitteln, ganz gleich, wo sie sich befinden.«
    »Woher wissen Sie das?« Valdorian stand vorsichtig auf und wankte zu seinem Sekretär, begleitet von Schmerz und Schwäche.
    »Esmeralda hat es mir erklärt.«
    Jonathans Gesicht hatte sich halb im Schatten befunden, und als Valdorian näher kam, sah er die Müdigkeit darin. Und noch etwas anderes, hinter der Erschöpfung. Trostlosigkeit? Traurige Resignation?
    Valdorians Blick glitt kurz zur schlafenden Pilotin. »Sie hat mit Ihnen gesprochen?«
    »Sie wies mehrmals darauf hin, dass das Schiff fast gestorben wäre, was auch immer das bedeutet«, erwiderte Jonathan. »Vom Kommunikationsknoten aus will sie Diamant benachrichtigen. Damit Sie Ihre Strafe erfahren, wie sie meinte.«
    Valdorian hörte die letzten Worte gar nicht. Wilde Hoffnung verdrängte sie und konzentrierte sich allein darauf, dass er endlich zu Lidia unterwegs war. Er sah zu den Projektionsfeldern hoch, und Jonathan folgte seinem Blick.
    »Werde ich jemals Axil und Ivrea wiedersehen?«, fragte der Sekretär leise.
    »Was?«
    »Meine Kinder. Werde ich sie jemals wiedersehen?«
    Valdorian versuchte, sich an die Namen zu erinnern, aber sie gehörten zu den vielen Dingen, die jede Bedeutung für ihn verloren hatten. Nur eines war noch wichtig: Er musste Lidia erreichen.
    »Wenn wir dieses Schiff verlassen, wo auch immer …«, fuhr Jonathan fort. »Dann sitzen wir fest. Kein Kantaki wird uns jemals wieder eine interstellare Passage gestatten. Nach den Maßstäben des Sakralen Kodexes haben wir das schlimmste denkbare Verbrechen begangen. Wer weiß, was die Kantaki gegen uns unternehmen werden.« Er deutete nach oben. »Man könnte den Flug für sehr faszinierend halten, wenn unsere Lage nicht so hoffnungslos wäre.«
    »Schlafen Sie!«, sagte Valdorian, schärfer als beabsichtigt. »Legen Sie sich hin. Ich halte jetzt Wache.«
    Jonathan schwieg, als er zu den Matratzen ging und sich auf einer von ihnen ausstreckte. Wenige Sekunden später war er bereits eingeschlafen.
    Valdorians innere Qual komprimierte seine mentale Welt und wirkte wie ein Filter, der Wichtiges von Bedeutungslosem trennte. Die Namen von Jonathans Kindern zählten zu den vielen unwichtigen Dingen, die aus dem Licht von Valdorians Aufmerksamkeit ins Dunkel des Vergessens glitten. Das Ende der Welt drohte, das Ende seiner Welt, und daneben verblasste alles andere. Dumpfes Summen kam aus den Tiefen des Kantaki-Schiffes, einer ganz besonderen Stimme gleich, die immer vorwurfsvoller und anklagender flüsterte, je länger er ihr lauschte. Nach einigen Minuten presste er sich beide Hände an die Ohren – in der

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