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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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»Von Entscheidung und Lebenswegen und so weiter. Alles sehr tiefsinnig.« Er stellte sie sich im Bett vor, in seinen Armen, achtete kaum auf die Umgebung. Sie befanden sich in der zweiten von insgesamt sieben Etagen und näherten sich der archäologischen Sektion, wenn er die Zeichen richtig deutete – hier befanden sich weniger Studenten.
    Lidia blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Der vor ihr schwebende Wegweiser verharrte und blinkte geduldig.
    »Grün ist die Farbe des Universums«, sagte sie. »Blau trinkt den Sinn aus aller Hoffnung, während Rot den Himmel der Seele färbt.«
    »Wie bitte?«
    »Horan in Die Farben der Welt « , sagte Lidia in einem gespielt dozierenden Tonfall. »Er hat seine lichten und dunklen Momente. Manche Leute halten ihn für verrückt, andere für einen rhetorisch geschickten Scharlatan. Ich finde ihn wunderbar. Genie und Wahnsinn liegen eben dicht beieinander.« Sie schmunzelte. »Sie sollten ihn wirklich einmal lesen und ihn nicht nur benutzen, um zu versuchen, eine Brücke zwischen uns zu bauen.«
    »Ich …« Valdorian spürte, wie er errötete, und plötzlich kam er sich vor wie ein pubertärer Jugendlicher. Lieber Himmel, ich bin siebenundzwanzig! Aber manchmal fühlte er sich der zwei Jahre jüngeren Lidia gegenüber schrecklich unreif.
    Zum Glück bemerkte sie seine roten Wangen nicht, denn sie hatte sich abgewandt und folgte wieder dem Wegweiser, der sie zur Xurr-Abteilung der archäologischen Sektion brachte. Nicht nur Horan faszinierte Lidia, wie Valdorian inzwischen wusste, sondern auch die Xurr. Und die Kantaki-Navigation. Eine seltsame Mischung, fand er.
    Der pfeilförmige Wegweiser führte Lidia in eine der schmalen Passagen, die vom Hauptgang abzweigten, und hier hielt sich außer ihnen niemand auf. Valdorian glaubte eine gute Gelegenheit gekommen, aber er wusste nicht, wie er sie nutzen sollte. Andere Frauen hatte er im Sturm erobert – etwas in ihm vergaß nicht, dass seine Herkunft dabei eine gewisse Rolle spielte –, ohne auch nur ein einziges Mal in Verlegenheit zu geraten. Aber kaum stand er Lidia gegenüber, löste sich ein Teil seiner Selbstsicherheit einfach auf. Irgendetwas an ihr hielt ihm einen Spiegel vor, in dem er Eitelkeit und auch Arroganz sah, und das gefiel ihm nicht. Gleichzeitig fühlte er sich ebenso von ihr angezogen wie Eisen von einem Magneten.
    »Hier ist es«, sagte Lidia zufrieden und griff nach dem pseudorealen Buch unter dem blinkenden Wegweiser, der daraufhin verschwand. »Hofeners Bericht über die Ausgrabungen auf Guraki – dort fand man die ersten Ruinen der Xurr, das berühmte Labyrinth. Auch damit sollten Sie sich einmal befassen, Dorian.« Das fast schelmisch wirkende Schmunzeln wiederholte sich. »Vielleicht lernen Sie etwas dazu.«
    Valdorian konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie waren allein in dieser schmalen Passage; niemand sah sie. Er trat näher, schlang die Arme um Lidia und beugte sich vor, um sie zu küssen …
    Und plötzlich waren seine Arme leer.
    Lidia entzog sich ihm, agil wie eine Schlange, schien sich dabei halb zu verflüssigen und Valdorians Händen überhaupt keinen Halt zu bieten. Fast von einem Augenblick zum anderen stand sie neben ihm und hob einen mahnenden Zeigefinger. »Haben Sie es sich so leicht wie bei den anderen vorgestellt?«, fragte sie und lächelte erneut. »Nein, mein lieber Dorian, Sie müssen sich schon etwas mehr bemühen.« Die letzten Worte klangen seltsam, gleichzeitig amüsiert und auch … hoffnungsvoll?
    Lidia klemmte sich das Pseudo-Buch unter den einen Arm und hakte sich mit dem anderen bei Valdorian ein. »Kommen Sie, lassen Sie uns zurückkehren.« Sie gingen einige Schritte. »Sie haben noch viel zu lernen«, murmelte sie leise, wie zu sich selbst, aber er hörte die Worte.
     
September 300 SN ·  linear
     
    Das Lagerfeuer brannte am Strand. Flammen züngelten, auf der einen Seite das Meer, auf der anderen der Dschungel. Es war ein magischer Moment: Die tagaktiven Tiere zogen sich zur Ruhe zurück, und die nachtaktiven erwachten. Für einige wenige Minuten herrschte Stille im dichten Urwald, der den größten Teil der äquatorialen Landmasse von Tintiran bedeckte, und das gab der Stimme des Meeres Gelegenheit zu einem Monolog. Valdorian und Lidia saßen am Lagerfeuer, und das leise Knistern des verbrennenden Holzes verschmolz mit dem viel lauteren, mal leiser mal lauter werdenden Rauschen des Meeres.
    »Ich frage mich, warum man es ›Scharlachrotes Meer‹ nennt«,

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