Kantaki 01 - Diamant
konnte eine junge Frau eine wandelnde Leiche lieben? »Wir sind nicht mehr die Personen von damals. Wir entwickeln und verändern uns. Dorian … selbst in diesem Moment verlässt Sie Ihr Egoismus nicht. Sie wollen mich benutzen, um zu überleben. Sie hoffen, mit meiner Hilfe dem Tod zu entkommen.«
»Nein«, brachte Valdorian hervor. »Nein, ich …« Schwäche hinderte ihn daran, den begonnenen Satz zu beenden. Er taumelte zur Seite, stieß gegen einen Kristall und hielt sich dort fest. Sein Blick glitt zu Lidia, aber er sah nicht nur sie, sondern auch eine Wüste, über der eine gnadenlose Sonne gleißte, einen dunklen Weg und eine schwarze Tür, vor ihr ein Mann, der wartete, auf ihn wartete.
»Sie haben hunderten von Welten den Krieg gebracht«, sagte Lidia. »Und als ob das noch nicht genug wäre: Sie haben gegen den Sakralen Kodex verstoßen und einen Kantaki getötet. Wie können Sie unter solchen Umständen Hilfe von mir erwarten?«
Ihre Stimme wurde leiser, obgleich sie sich nicht bewegt hatte. Trotzdem schien die Entfernung zwischen ihnen zuzunehmen.
»Die Kantaki haben sich geweigert, mir zu helfen«, brachte Valdorian hervor. »Ich habe mit einem von ihnen gesprochen und ihn gebeten, mich zu einer … Zeitschleife zu bringen. Sie kennen sich aus damit, mit der Zeit. Rekursive Zeit.« Er fragte sich, woher er diesen Begriff kannte. »Es wäre ganz einfach für ihn gewesen, mir mit rekursiver Zeit zu helfen.«
»Dann hätte der Kantaki, mit dem Sie gesprochen haben, gegen den Sakralen Kodex verstoßen, und das …«
»Der Sakrale Kodex ist Unsinn!«, zischte Valdorian. »Er dient nur dazu, das Monopol und die Vormachtstellung der Kantaki zu sichern. Ihre ganze Philosophie ist nichts weiter als ein Mittel zum Zweck!« Er erinnerte sich daran, ein ähnliches Gespräch mit Lidia geführt zu haben, vor langer, langer Zeit.
»Sie ahnen nicht, wie sehr Sie sich irren, Dorian«, sagte Lidia, und diesmal schien ihre Stimme einer ganz anderen Person zu gehören. »Der Sakrale Kodex gewährleistet die Stabilität des Universums. Wer gegen ihn verstößt, wer gar die Zeit manipuliert, hilft dem Abissalen. Die Kantaki sind die Hüter …«
»Die Kantaki sind ein verdammter Haufen egoistischer Insekten!«, keifte Valdorian. »Sie denken nur an sich selbst und die Sicherung ihres Monopols. Darum geht es ihnen, um nichts anderes. Und wer es wagt, gegen sie aufzubegehren, den isolieren sie! Sie lassen mich sterben, obgleich sie mir Zeit für ein neues Leben geben könnten! Lidia, du musst mir helfen«, sagte Valdorian voller Verzweiflung. Er wusste, dass es erneut die falschen Worte waren, aber vielleicht gab es die richtigen gar nicht, zumindest nicht für ihn. »Wenn du mir nicht hilfst …«
»Was dann?«
»Dann sterbe ich«, ächzte Valdorian. »Du kannst mich doch nicht einfach so sterben lassen!«
»Selbst wenn ich wollte, Dorian … Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie haben Vater Hirl getötet – kein Kantaki wäre bereit, Sie an Bord eines ihrer Schiffe zu dulden. Esmeralda nimmt Sie gewiss nicht wieder auf, und Grar würde es auf keinen Fall erlauben, dass ich Sie an Bord seines Schiffes bringe. Und ganz abgesehen davon: Erwarten Sie von mir, dass ich für Sie die Zeit manipuliere und damit gegen den Sakralen Kodex verstoße?«
Dunkelheit fraß an Valdorians Gedanken, triumphierende Finsternis, sog das Leben aus ihm heraus. Aber irgendwo flüsterte auch etwas, und dieses Flüstern schien ihm Kraft zu geben. Er griff in die Tasche, holte den Diamanten hervor, stieß sich von der Kristallwand ab und wankte zu Lidia.
»Hast du dies vergessen? Hast du vergessen, was einst zwischen uns gewesen ist?«
Ein Licht schimmerte im Inneren des Diamanten, wurde immer heller. Lidia schnappte verblüfft nach Luft, taumelte und hob die Hand zu einem Leuchten, das unter ihrem Kragen hervorkroch.
Valdorian begriff, dass er noch eine letzte Möglichkeit hatte. Er riss den Amplifikator aus der Tasche, hob ihn ans Ohr und versuchte, sich zu konzentrieren.
Lidia taumelte erneut und presste beide Hände an ihre Schläfen. »Was … «
»Du hast mich damals geliebt, und du liebst mich noch immer«, brachte Valdorian hervor. Das Flüstern, das seltsame Raunen, wurde stärker, gab ihm aber nicht mehr Kraft. »Nimm mich mit, Lidia. Hilf mir …«
Lidia schien sich kaum mehr auf den Beinen halten zu können. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, und Schweiß glänzte auf der Stirn. Mit der einen Hand zog sie eine Halskette
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