Kantaki 01 - Diamant
gegenüber sich Lidia manchmal auf sonderbare Weise verpflichtet fühlte. Sie waren nichts weiter als Statisten auf der großen kosmischen Bühne des Geschehens. Was auch immer sie in ihrem Leben entschieden – sie bewirkten nichts. Warum begriff Lidia nicht die letztendliche Bedeutungslosigkeit dieser Individuen? Valdorian hingegen … Wenn er die Nachfolge seines Vaters antrat, würden sich seine Entscheidungen auf all diese Leute auswirken, auf die Umstände, die ihr Leben bestimmten. Ich kann ihr alles bieten, dachte er. Irgendwann wird sie es zu schätzen wissen.
Dieser Gedanke ließ ihn lächeln, und ihn störte auch nicht der freundschaftliche Blick, den Lidia mit dem Kellner wechselte, als er die Getränke brachte. Valdorian bekam seinen Fruchtsaft und sie ihren Feuerkelch – ein hohes Glas, gefüllt mit roter Flüssigkeit, fast so rot wie das Meer; kleine Flammen züngelten auf der Oberfläche, schrumpften schnell und verschwanden, als der größte Teil des verdunstenden Alkohols verbrannt war.
Er nippte daran, bemerkte dann die Datenfolien und Bücher, die Lidia auf den Tisch gelegt hatte. Er deutete aufs oberste.
»Das ist das vierte Buch über die Kantaki, das Sie lesen«, sagte er. »Interessieren sie Sie mehr als die Xurr?«
»Die Xurr sind tot«, erwiderte Lidia, trank einen Schluck und nickte anerkennend. »Die Kantaki leben und brauchen Navigatoren, Piloten für ihre Schiffe. Ich …« Sie zögerte kurz. »Ich möchte prüfen lassen, ob ich die Gabe in ausreichendem Maß besitze.«
»Die Gabe?«, wiederholte Valdorian erstaunt.
»Vor vier Jahren hat man bei mir Gabenlatenz festgestellt. Ich habe Ihnen davon erzählt, erinnern Sie sich? Kennen Sie das Navigationssystem der Kantaki?«, fügte Lidia mit einer Aufregung hinzu, die Valdorian seltsam fand.
»Ich habe das eine oder andere gehört«, sagte er.
»Es ist sehr komplex«, erklärte Lidia. »Die Kantaki könnten ihre Schiffe auch selbst fliegen, aber sie nehmen Piloten in ihre Dienste, um der Meditation im Sakrium mehr Zeit widmen zu können. Das ist ein Ort ohne Zeit und Raum, im so genannten Plurial, das alle Universen enthält.« Lidia sah die Verwirrung in Valdorians Gesicht. »Was den Piloten betrifft … Mit seiner Gabe verbindet er das Schiff im Transraum mit den richtigen Fäden. Alle Planeten und Sonnen des Universums, alle Himmelskörper, ganz gleich wie nah und wie fern, sind durch hyperdimensionale Fäden verbunden, die sich ständig verändern. Diese Fadengebilde reichen nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit, durch die lineare ebenso wie durch die nichtlineare.«
Valdorian nickte. Er musste sich zwingen, ruhig zuzuhören und nicht erneut darauf hinzuweisen, was er von den Kantaki und ihrem Monopol hielt.
»Die Gabe ermöglicht es dem Piloten, sich in dem Fadengewirr zu orientieren und genau die Fäden zu finden, die zum Ziel führen«, setzte Lidia ihren Vortrag fort. »Das ist grob vereinfacht, trifft es aber im Wesentlichen.« Sie lächelte. »Verwechseln Sie diese Fäden übrigens nicht mit Strings – das ist etwas ganz anderes. Wenn einem Kantaki-Piloten aus irgendeinem Grund ein Fehler unterläuft, wenn er es an der notwendigen Konzentration mangeln lässt, so könnte das Schiff in eine nichtlineare Realität geraten, in eine andere Zeit, in einen anderen Kosmos, vielleicht in ein leeres, totes Universum. Es gibt Geschichten darüber. Gelegentlich soll so etwas tatsächlich passiert sein. Und offenbar ist die Rückkehr in die lineare Wirklichkeit sehr problematisch.«
»Und Sie möchten Ihre latente Gabe prüfen lassen?«, fragte Valdorian. »Warum?«
Lidia hob den Kopf und blickte zum Himmel. Die Sonne war inzwischen hinter dem Horizont versunken, und die ersten Sterne erschienen am Himmel. Laternen leuchteten an der Promenade, und gedämpfte Musik erklang. Bellavista, die Bewohner der Stadt und die vielen Touristen bereiteten sich auf den Abend und die Nacht vor.
»Stellen Sie sich vor, dort oben unterwegs zu sein, ein Schiff von Stern zu Stern zu steuern«, sagte Lidia. »Tausend Welten zu sehen, die Wunder des Alls … Stellen Sie sich vor, ein Leben des Staunens zu führen, die Unendlichkeit zu erfahren, die Ewigkeit zu berühren … Für die Kantaki und ihre Piloten vergeht die Zeit anders. Bei den Flügen durch den Transraum befinden sie sich außerhalb des gewöhnlichen Zeitstroms, im Gegensatz zum Inhalt der Transportblasen.
Ich hätte viel, viel Zeit, um die Mysterien des Seins zu
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