Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2)
Psychen zu verzetteln. Echte Hilfe war nur dann möglich, wenn er sich auf jeweils einen Patienten konzentrierte, und noch vor dem Start der Horas hatte er mit einer empathischen Fixierung auf Rupert begonnen.
An der Tür wartete bereits ein pseudoreales Projektionsfeld auf ihn und zeigte den jungen Mann, der immer noch unbewegt dasaß und an die Wand starrte. Zwei auf Levitationskissen durch den Korridor schwebende medizinische Drohnen verharrten kurz und erwarteten Anweisungen vom Psychomechaniker. Er winkte die Maschinen fort, ohne sie zu beachten.
Nach kurzem Zögern holte er seinen Kodeschlüssel hervor und schob ihn in den Sicherheitsservo der Tür. Ein Rasterstrahl tastete ihn innerhalb eines Sekundenbruchteils ab und bestätigte seine Identität, woraufhin sich die Tür öffnete. Ein Energiefeld blieb in ihr bestehen, in seinem Innern ein entropisches Gefälle; eine auf seine persönliche physisch-psychische Struktur konfigurierte Strukturlücke ließ ihn eintreten.
»Rupert?«
Allbur versuchte es immer wieder, obwohl Rupert schon seit Monaten nicht mehr sprach.
»Ich bin's, Dorim. Erinnerst du dich an mich? Wir sind Freunde.«
Rupert saß ihm gegenüber auf einem einfachen, hochlehnigen Stuhl, mit dem Rücken zum Eingang. Vor ihm war nur eine leere graue Wand.
Allbur sah sich kurz in der Unterkunft um. Es schien soweit alles in Ordnung zu sein. Kratzer im Boden und an den aus Synthomasse bestehenden Möbeln neben der Tür wiesen auf die Auseinandersetzung mit der ersten Drohne hin. Inzwischen sorgte der in die Kabine integrierte medizinische Servo mit seinen Nano-Assistenten dafür, dass der Entratol-Spiegel in Ruperts Stoffwechsel nie unter ein bestimmtes Niveau sank.
Der Psychomechaniker nahm einen Stuhl und setzte sich so neben seinen Patienten, dass Rupert ihn aus dem Augenwinkel sah. Er wahrte einen Abstand von etwa zwei Metern, was allerdings nicht viel bedeutete. Physische Distanzen spielten bei den Brainstormern kaum eine Rolle.
»Was siehst du, Rupert?«, fragte Allbur.
Natürlich bekam er keine Antwort. Er fragte sich kurz, ob er sprach, um sich selbst zu beruhigen, schob diesen Anflug von Selbstdiagnose dann beiseite. Fast eine Minute lang beobachtete er die winzigen Medo-Sensoren, die wie hungrige Insekten über Ruperts sichtbare Haut krochen und biometrische Daten sammelten. Allbur kannte die Ergebnisse der letzten Untersuchungen und Analysen natürlich: Rupert wurde schwächer. Sein Selbst glitt in völlige Apathie ab.
Was haben sie mit dir angestellt? , dachte er voller Anteilnahme, doch die eigene Konditionierung hinderte ihn daran, gründlicher über die Frage nachzudenken.
Nach einer weiteren Minute stand er auf und drehte Ruperts Stuhl so, dass der nach vorn gerichtete Blick des jungen Mannes ihn traf. Er rückte den eigenen Stuhl näher, setzte sich und sah in die Augen einer gequälten Seele.
Und er sah die Qual ganz deutlich: noch dunkler als die großen Augen, fauliger Krebsfraß im Fleisch der Psyche, ein Schrei tief im Innern, unhörbar für jeden Nichtempathen, laut und schrill für Dorim Allbur. Er hörte ihn, ohne dass er seinen empathischen Horizont erweiterte, im innersten Gewölbe von Ruperts Ich, dort, wo das leidende Selbst zusammengekauert in einer dunklen Ecke hockte, die Arme um die Knie geschlungen, den Kopf nach hinten geneigt und den Mund aufgerissen zu diesem Schrei, der manchmal heiß und scharf wie ein Laserskalpell durch Allburs Neuronen schnitt, wenn er sich ihm zu sehr öffnete.
Das ursprüngliche Talent dieses jungen Mannes war während der Stimulierung in einer Brainstorm-Station außer Kontrolle geraten. Diala hatte versucht zu retten, was noch zu retten war, und dabei wäre sie, eine Meisterin, fast Ruperts Opfer geworden. Etwas hatte diesem Menschen das Gewissen genommen, und fast alle Dinge, die damit in Zusammenhang standen, wie Schuldgefühle und ein ausgeprägter moralisch-ethischer Komplex, der Werte und Regeln anerkannte. Zorn war Grund und Ursache der ersten Morde gewesen. Jene Wutanfälle, Zeichen der kollabierenden Innenwelt, hatten vor der Behandlung mit Entratol stattgefunden, und Allbur vermutete, Rupert wusste nicht einmal, dass er Leben ausgelöscht hatte. Zumindest wusste er es nicht in der Weise, wie normale Menschen das eigene Handeln bewerten konnten. Rupert hatte aus einer emotionalen Laune heraus gehandelt, und solche Launen wurzelten in seinem Leid, in jenem dunklen geistigen Geschwür, das immer mehr in ihm wucherte.
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