Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2)
Vater hatte den Tal-Telassi alles genommen; die Tochter würde es ihnen zurückgeben. Das erschien nur angemessen. Norenes Rückkehr war ein weiterer positiver Aspekt, dachte Zara, unerwartet und willkommen. Die mentale Macht einer zweiten Großmeisterin konnte bei der bevorstehenden Auseinandersetzung mit den Besatzern von Okomm sicher nicht schaden. Es sei denn, diese Macht war nicht stabil …
Norene erstarrte plötzlich, und in ihren großen, jadegrünen Augen funkelte es kurz. Dann beugte sie sich abrupt zu Dominique hinab und berührte sie mit beiden Händen an den Schläfen.
Zara fühlte das Selbst der jungen, noch nicht geklonten Frau: Es ruhte in einem Gespinst der achten Stufe, sicher und unbemerkt von den Sensoren.
»Schwester?«, fragte sie nach einer Weile.
Norene löste die Hände von den Schläfen und richtete sich langsam wieder auf. »Ich habe ihn gefühlt, für einen Sekundenbruchteil. Kann es sein, dass er nicht gestorben ist?«
»Dominik?«
»Ja.« Sorge zeigte sich in Norenes blassem Gesicht.
»Das ist völlig ausgeschlossen. Er starb, als er den Ursprung des Tal-Telas öffnete und die beiden Kräfte miteinander vereinte. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Als die kleine Gestalt aus dem erst weißen und dann schwarzen Riss trat, als sie nach einem ›Spiel‹ fragte … Dominik und Ahelia stießen sie zurück und verschwanden mit ihr.«
Norene starrte wie entgeistert auf Dominique hinab. »Aber bedeutet das, dass er tot ist?«
4. Meisterin
4. März 1147 ÄdeF
Dominique erwachte mit neuen Gedanken an einem fremden Ort.
Das Bett bestand eigentlich nur aus einer Synthomassematratze, die leise seufzte, als sie aufstand. Daneben stand ein Tisch mit einem einfachen Datenservo, mit dem sie am vergangenen Abend Informationen aus einem sicheren Archivbereich abgerufen hatte. Sicher – so nannten Zara, Norene und die anderen Orthodoxen all das, was weder von den Observanten und Soldaten noch von Überwachungssensoren kontrolliert wurde. Das gehörte zu den neuen Dingen, die Dominique erfahren hatte: Es gab auf Millennia Orte, die den Besatzern verborgen blieben. Und an einigen jener Orte konnte die Kraft des Tal-Telas genutzt werden, ohne dass es sofort zu einem Illegalitätsalarm kam.
Die junge Frau lächelte, als sie durchs Zimmer ging, das Zara und Norene ihr für die Nacht zur Verfügung gestellt hatten. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich nicht kontrolliert.
In der kleinen Hygienezelle, ebenso schlicht eingerichtet wie der Schlafraum, verharrte Dominique vor dem QR-Spiegel und betrachtete sich selbst. Sie sah braune Augen, angeblich so ausdrucksvoll wie die ihres Vaters, ein ovales Gesicht so blass wie das aller Tal-Telassi von Millennia, eine kleine, gerade Nase und einen Mund, der ihr etwas zu breit erschien. Das Haar war so blond wie das ihrer Mutter, aber sie trug es kurz, ein Ausdruck des Trotzes, wie sie sehr wohl wusste. Für einen großen Teil ihres Verhaltens hieß der Grund Trotz, wie sie sich selbst gegenüber nicht ohne eine gewisse Verlegenheit eingestand, was jedoch nichts daran änderte, dass sie sich im Recht glaubte. Der Glanz in ihren Augen hatte sich ein wenig verändert, fand sie, was vielleicht an den neuen Gedanken lag.
Als sie unter der Dusche stand und warmes Wasser auf sich herabprasseln ließ, versuchte sie, sich selbst zu analysieren, eine alte Angewohnheit, die ihr dabei half, Gedanken und Gefühle zu sortieren. Der viele Jahre alte Zorn existierte nach wie vor, stellte sie fest, aber die Gespräche mit Zara und Norene hatten ihn in Entschlossenheit verwandelt, und außerdem gab es jetzt auch Freude – sie blickte mit Zuversicht auf den vor ihr liegenden Weg.
Als Dominique in den Schlafraum zurückkehrte, warteten dort die beiden Großmeisterinnen auf sie, beide in weiße Zeremoniengewänder gekleidet. Es erstaunte Dominique kaum, dass sie die Präsenz der beiden Tal-Telassi nicht gespürt hatte. Selbst unter normalen Umständen musste sie sich ganz darauf konzentrieren, ihre persönlichen Auren wahrzunehmen, und hier kamen die sorgfältig aufgebauten mentalen Schilde hinzu.
»Hast du dir alles gründlich durch den Kopf gehen lassen?«, fragte Zara sanft. In ihrer Stimme ließ sich nur selten Schärfe vernehmen.
Dominique erinnerte sich an die Gespräche des vergangenen Abends, an die Fragen, Antworten und Erklärungen.
»Ja.« Sie zog sich an.
»Du könntest uns sehr helfen«, sagte Norene. Ihre Stimme war anders, irgendwie
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