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Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2)

Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2)

Titel: Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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hoffte darauf, dass ihm seine Empathie einen Weg zum Kern von Ruperts Selbst zeigte. Wenn nicht, erwartete sie beide einiger Ärger – Keil Thorman hatte die Medos und anderen Psychomechaniker bereits angewiesen, Vorbereitungen zu treffen.
    Zusammen mit Rupert ging er über einen breiten Pfad, den die ersten Siedler vor Jahrtausenden angelegt hatten. Er führte über den Kraterhang des großen, erloschenen Vulkans, vorbei an den Resten von Gebäuden aus einfacher Synthomasse. Eis glänzte an Felsvorsprüngen, und tief unten auf dem zugefrorenen See im Vulkanschlund hatte sich Schnee angesammelt. Die großen Aggregate der Förder- und Zapfanlagen wirkten aus dieser Höhe gesehen nur wie kleine dunkle Flecken auf dem weiten Weiß, und ihr unentwegtes Brummen war nicht mehr als ein Flüstern. Der aus Laboratorien, Habitaten und speziellen Biosphären bestehende Gebäudekomplex der Brainstorm-Station schmiegte sich einige Kilometer entfernt und weiter oben an den Hang wie ockerfarbene Buckel. Zwischen ihnen standen nicht nur einige Leviplattformen, sondern auch mehrere militärische Orbitalspringer, insektenhaft klein und harmlos wirkend. Doch Allbur wusste, dass dieser Eindruck täuschte.
    An einer Stelle, wo der Weg ein wenig breiter wurde, blieb er stehen, atmete die kühle Luft in tiefen Zügen und blickte nach oben. Der Himmel über dem fast zehn Kilometer durchmessenden Vulkankrater war rot wie Rubin, die Farbe von frisch vergossenem Blut.
    »Er ist nicht mehr nahe«, sagte Rupert.
    Allbur drehte überrascht den Kopf. Er hatte einen Patienten, um den er sich kümmern musste, und es war erstaunlich genug, dass Rupert aus eigenem Antrieb sprach.
    »Du meinst Kaither, nicht wahr?« Er legte zwei Thermokissen auf die niedrigen, zum Sitzen einladenden Felsen und nahm Platz. Rupert folgte seinem Beispiel, mit langsamen, marionettenhaften Bewegungen, als würde sein Körper von außen gesteuert. Eine Zeit lang antwortete er nicht und starrte in den Krater, ohne etwas Bestimmtes zu sehen. Oben schoben sich dünne Wolken vor die ferne Glut des roten Riesen Ormath.
    »Ja«, sagte der junge Mann dann.
    Mit vorsichtiger Empathie tastete Allbur nach seinem Selbst und fand dort nicht nur die alte Seelenqual, die Rupert zum Mörder gemacht hatte, sondern auch eine seltsame Art von neuer Zufriedenheit, die den Schmerz fast ausbalancierte.
    »Was ist geschehen?«, fragte er und wusste, dass er damit auch den Grund für die eigene Unruhe berührte: seine Gedächtnislücken. Es geschah nicht zum ersten Mal, und eigentlich hätte er inzwischen daran gewöhnt sein sollen. Das bionische Implantat bewahrte ihn vor Traumata, indem es das Stressniveau überwachte: Wenn die mentalen und emotionalen Belastungen über ein bestimmtes Maß hinausgingen, verdrängte es die Erinnerungen daran. Auf diese Weise blieben seine therapeutischen Fähigkeiten selbst nach traumatischen Erlebnissen voll erhalten.
    Allbur fragte sich, ob er an Bord der Horas bei der Helleron-Station ein Trauma erlitten hatte, das Vergessen erforderte. Er erinnerte sich an das Erscheinen des Molochs und der Vitäen-Flotte, an Ruperts Zorn, der zahlreiche Brainstormer, die Pilotin Judith und auch Diala getötet hatte. Er entsann sich auch, etwas verschwommener, an das Erscheinen der anderen Schiffe, und dann … Etwas hatte ihn berührt , tief in seinem Innern, Logik und Rationalität so kalt wie das All, aber hinter dem mentalen Eis hatte er Wissensdurst gespürt, das Bestreben, Antworten auf Fragen zu finden.
    Fragen …
    »Sie haben dir Fragen gestellt, nicht wahr?« Allbur sah Rupert an und ließ ganz vorsichtig eine empathische Sonde in dessen Selbst eindringen.
    »Was bin ich?«
    »Haben sie dich das gefragt?«
    »Kaither wollte es wissen.«
    »Wer ist Kaither, Rupert?«
    Der junge Mann erbebte kurz, als würde er in der Kälte frieren, aber die Jacke war dick, und die Thermofäden in ihr brachten genug Wärme.
    »Kaither kennt viele Geschichten«, sagte Rupert nach einigen Sekunden. »Aber es sind nicht seine eigenen. Er hat sie von Hendrik gehört.«
    »Und wer ist Hendrik?«
    »Hendrik ist …« Rupert hob wie hilflos eine Hand und ließ sie wieder sinken. »Er ist der Kognitor. Er weiß über Dinge Bescheid.«
    »Wenn er über Dinge Bescheid weiß …«, sagte Allbur behutsam. »Wie kommt es dann, dass er die Antworten nicht kennt?«
    In Ruperts Selbst kam es zu ersten Veränderungen. Hier und dort bildeten sich kleine Lücken zwischen den Mauern, hinter die er

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