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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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war aber wenigstens nicht heuchlerisch. Eine falsche Fassade ist bei einem Politiker noch viel schlimmer: »Wasser predigen, aber Wein trinken.« Etwa wenn ein stramm konservativer, katholischer Politiker gegen Frauen wettert, die abtreiben, weil er strikter Abtreibungsgegner ist – dann aber seine heimliche Geliebte dazu drängt, das gemeinsam gezeugte Kind abzutreiben, damit er keinen Ärger bekommt. Das ist ein besonders krasses (fiktives) Beispiel.
    Es kam aber auch nicht gut an, dass der CSU -Politiker Horst Seehofer sich in Zeitschriften gerne mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern fotografieren ließ und öffentlich betonte, wie wichtig traditionelle Familienwerte für ihn sind. Und dann stellte sich heraus, dass er heimlich seit Jahren eine Geliebte in Berlin hat, die nun ein Kind von ihm bekam. Dass sich ein Mensch neu verliebt, ist dabei nicht das Problem. Das Problem ist, dass man an dem gemessen wird, was man öffentlich vertritt. Deshalb wiegen solche Fehltritte bei konservativen Politikern schwerer. Auch da haben sich die Zeiten allerdings geändert. Horst Seehofers Karriere ging weiter. Er wurde danach sogar bayerischer Ministerpräsident. Das war früher noch anders. 1993 musste der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel seine Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten aufgeben, weil bekannt wurde, dass er eine außereheliche Liebesbeziehung zu der prominenten Skiläuferin Irene Epple hatte. Ein »Ehebrecher« war in Bayern damals noch nicht vermittelbar. Und natürlich war es kein Zufall, dass die Geschichte gerade zu dem Zeitpunkt öffentlich wurde, als es parteiinterne Konkurrenz um das Amt gab. Dass Waigel Frau Epple liebte, wusste man inoffiziell schon seit Jahren. Insofern wurde Waigel da von den eigenen Leuten auch übel mitgespielt.
    Skandale müssen nicht das Ende sein
    In den rot-grünen Regierungsjahren hat sich aber auch in konservativen Kreisen das gesellschaftliche Klima geändert. Kanzler Schröder war mehrfach geschieden, sein Stellvertreter Joschka Fischer auch. Bei den Grünen trauten sich Politiker früher als in den anderen Parteien, ihre Homosexualität offen zu leben. Die meisten Wähler trugen es mit Fassung. Das hat Spuren hinterlassen. Nun traute man sich auch in konservativen Kreisen mehr. Die Bundeskanzlerin der konservativ-katholischen CDU / CSU ist geschieden, kinderlos, protestantisch. Und ihr Mann geht seinem eigenen Beruf als Wissenschaftler nach, statt sich wohltätigen Stiftungen zu widmen, wie »Politikergattinnen« das bis dahin immer getan hatten. Bei solchen gesellschaftspolitischen Themen kommt es aber nach wie vor sehr darauf an, wer was tut und wie die Bevölkerung darauf reagiert. Als SPD -Kandidat Peer Steinbrück frotzelte, eine Flasche italienischen Weißwein für 5 Euro würde er gar nicht erst trinken, kostete ihn das Sympathien. Bei einem FDP -Politiker hätte sich wohl kaum einer daran gestört.
    Bei dem sehr populären Karl-Theodor zu Guttenberg wiederum sah es zunächst so aus, als könnte er sich trotz seiner über weite Strecken abgeschriebenen Doktorarbeit im Amt halten. Wissenschaftler und Journalisten waren einigermaßen fassungslos, als sie sahen, wie dreist der Minister seine Arbeit zusammengeschustert hatte. In der breiten Bevölkerung hingegen gab es große Sympathien für ihn, und viele fanden das mit dem Doktortitel auch nicht so wichtig. Der Anteil der Akademiker, die selbst im Schweiße ihres Angesichts eine ehrliche Doktorarbeit geschrieben haben, ist halt nicht so hoch. Anders wären die Reaktionen, wenn sich herausstellte, dass ein Arzt in Wahrheit gar kein »Doktor« ist. Die Empörung wäre da groß. Aber irgendeine Jura-Arbeit, hm … Es dauerte, bis die Stimmung umschlug. Und hätte sich Guttenberg geschickter verhalten, würde er inzwischen vielleicht schon wieder ein Comeback feiern können.
    Skandale müssen nämlich nicht das Ende der Karriere sein. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir musste 2002 seine Parteiämter abgeben, weil ihm Unsauberkeiten bei einem privaten Darlehen vorgeworfen wurden; außerdem hatte er dienstlich erworbene Lufthansa-Meilen privat verflogen (was in vielen Privatunternehmen völlig üblich ist; schließlich steht es dem Mitarbeiter frei, ob er überhaupt eine Miles-and-More-Karte anlegt – aber in der Politik wird mit viel strengeren Maßstäben gemessen). Özdemir verschwand für einige Zeit in der Versenkung, bis Gras über die Sache gewachsen war, und arbeitete sich später über

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