Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Politikern. Es war zum Beispiel schon lange branchenbekannt, dass der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit ( SPD ) mit einem Mann zusammenlebte, bevor er sich zum Schwulsein öffentlich bekannte. Auch über seinen Hamburger Amtskollegen Ole von Beust ( CDU ) wusste man das in Politiker- und Journalistenkreisen. Aber niemand schrieb darüber. Weil es keinen Grund dafür gab. Solange sie sich nicht politisch erpressen lassen, ist es ihre Privatsache.
Und wieso wurde dieser Teil des Privaten schließlich doch bekannt? Der FDP -Politiker Guido Westerwelle besuchte irgendwann öffentliche Termine mit seinem Lebensgefährten. Aber erst nachdem andere vorangegangen waren. Der Berliner SPD -Spitzenmann Klaus Wowereit informierte offensiv die eigene Partei, um es hinter sich zu haben und nicht von Boulevardblättern unter Druck gesetzt zu werden. Er sagte am Ende einer öffentlichen Rede: »Und übrigens: Ich bin schwul – und das ist auch gut so.« Der frühere Hamburger Bürgermeister Ole von Beust wurde von seinem damaligen Koalitionspartner und Innensenator Ronald Schill damit bedroht, ihn zu outen; Schill unterstellte ihm eine Affäre mit dem damaligen Justizsenator. Das empfand sogar die eher konservative Bild- Zeitung als »dreckige Homo-Erpressung im Rathaus«. Von Beust feuerte zwar Schill, bestätigte seine Homosexualität aber nicht. Das tat erst sein Vater wenig später in einem Interview (mutmaßlich nicht ohne vorherige Absprache mit seinem Sohn). Dies war auch ein Beispiel dafür, warum es gut sein kann, ein wenig öffentlicher zu leben, als man möchte, weil man dann nicht erpressbar ist oder kalt erwischt wird. Denn die Medien dürfen nicht ohne Grund über das Privatleben von Prominenten und Politikern berichten – aber so ein »Grund« lässt sich immer finden, wenn man einen sucht.
Wenn das Private politisch wird
Insidern ebenfalls längst bekannt war, dass Gerhard Schröder, damals Regierungschef in Niedersachsen, sich von seiner dritten Frau Hillu getrennt hatte und es eine neue Freundin gab – die 19 Jahre jüngere Doris Köpf, damals selbst Focus- Journalistin. Ob die Medien nicht früher berichteten, weil sie es nicht so wichtig fanden oder weil sie einen Gerichtsprozess fürchteten – wer weiß? Es gilt jedenfalls als »ungeschriebenes Gesetz«, nicht ohne Rücksprache über das Privatleben von Politikern zu berichten. Diese Regel weicht allerdings zunehmend auf – auch in dem Maße, in dem Politiker selbst mit ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit gehen. Sehr ausführlich wurde zum Beispiel über das 2007 geborene uneheliche Kind des CSU -Ministers Horst Seehofer berichtet, der sich zum Zeitpunkt der Berichterstattung um den Posten des CSU -Chefs bewarb. Diese Babyberichte galten in der Medien- und Politikbranche als Tabubruch. Im Wesentlichen waren es nur Bild und Bunte , die selbst berichteten – aber alle anderen berichteten eifrig darüber, dass berichtet wurde! So kann man nämlich indirekt auch tratschen und dabei gleich noch so tun, als sei man ganz empört über das Getratsche der anderen. Ob der »Verrat« tatsächlich von politischen Gegnern Seehofers kam oder in Wahrheit eine Initiative der Geliebten war, die ihn nach all den heimlichen Jahren zu einem Bekenntnis zwingen wollte – wer weiß? Spätestens seit der Seehofer-Geschichte gilt das alte Gesetz jedenfalls nicht mehr ganz so strikt, dass Privates privat bleibt. Dazu trägt auch das Internet bei. Selbst böswillige Lügen lassen sich anonym verbreiten, werden zum Gerücht, und es bleibt was hängen. Dagegen können sich die Betroffenen nur sehr schwer wehren. Als Bettina Wulff, Gattin des Ex-Bundespräsidenten, gegen solche Lügen über eine angebliche Rotlichtvergangenheit vorgehen wollte, sah sie am Ende keinen anderen Weg mehr, als selbst damit offensiv in die Öffentlichkeit zu gehen. Nachteil: Danach wussten noch mehr Leute, dass es solche Gerüchte überhaupt gegeben hatte, auch solche, die nie im Netz nach ihrem Namen gesucht hatten. Die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der Presse werden insofern durch anonyme Blogger ausgehöhlt.
Oft hat ein Informant einen persönlichen Vorteil davon, dass er eine Nachricht auf dem Weg über Journalisten ans Tageslicht bringt. Das muss nicht heißen, dass sie deshalb nicht veröffentlicht werden darf. Aber Journalisten müssen sich dennoch immer fragen: Wer verrät mir welche Info wann warum? Denn meistens »enthüllen« Journalisten ja nicht von sich aus etwas,
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