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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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einen Parlamentarierjob in Brüssel wieder zurück in die deutsche Spitzenpolitik und steht da heute ohne den Makel der Vergangenheit. Einige Karrierejahre hat ihn das allerdings gekostet.
    Das Spiel mit der »political non-correctness«
    Heikel wird es auch, wenn Politiker »politisch Unkorrektes« sagen. Wir treiben es da zwar noch nicht ganz so weit wie die Amerikaner mit ihrer political correctness, die teils geradezu absurde Züge annimmt. Natürlich gibt es dafür in einem klassischen Einwanderungsland wie den USA auch gute Gründe. Es leben dort nun mal sehr viele Religionen und Ethnien zusammen. Und so sind die USA einerseits politisch viel christlich-protestantischer geprägt als wir, zugleich aber auch viel mehr bereit, »die Form zu wahren«, also im Sprachgebrauch betont korrekt zu sein. Ein fröhlich geschmettertes »Frohe Weihnachten« ist insofern absolut inkorrekt. Korrekt ist ein religionsneutrales »Happy holidays«. Die Amerikaner treiben es da sicher besonders weit – aber auch im deutschen Sprachgebrauch gibt es ja große Unterschiede zwischen dem, was ein Normalbürger von sich gibt, und dem, was in offizieller Sprache gesagt werden darf. Im normalen Umgangsdeutsch ist von »Türken« die Rede. Doch viele »Türken« sind ja keineswegs Ausländer, sondern deutsche Staatsbürger, zumindest aber Mitbürger, die fest hier leben, Steuern zahlen etc. Also sprechen wir im öffentlichen Raum zu Recht von »türkischstämmigen Mitbürgern« oder »Bürgern mit Migrationshintergrund«.
    Populisten hingegen spielen gezielt damit, sich gerade in diesen Bereichen »unkorrekt« auszudrücken. Sie sind eine eigene politische Spezies, die in unterschiedlichen Abstufungen auftritt. Das können ganz normale Parteipolitiker sein, die sich bloß regelmäßig damit profilieren, dass sie auf die Pauke hauen und insofern auch ein bisschen den Hofnarren geben, was bei manchen Wählern gar nicht so schlecht ankommt.
    Ein paar solcher »Unberechenbarer« schaden den etablierten Parteien auch nicht. Im Gegenteil: eine Partei braucht sogar den ein oder anderen der auch mal ausspricht, was andere nur denken. Dabei muss es gar nicht unbedingt um gesellschaftlich »Unkorrektes« gehen, es kann auch nur parteipolitisch »Unkorrektes« sein. Der schleswig-holsteinische Politiker Wolfgang Kubicki von der FDP zum Beispiel spielt diese Rolle mit schöner Regelmäßigkeit und erfreut sich deshalb großer Beliebtheit bei Journalisten und Talkshow-Moderatoren (und nicht nur bei ihnen). Seine politische Nicht-Korrektheit bezieht sich aber in der Regel auf die eigene Partei. Ist etwa der FDP -Chef schwach, ist Kubicki derjenige, der sich als Erster traut, das öffentlich zu sagen, wenn auch aus durchaus egoistischen Motiven (Kubicki hat als Landespolitiker damit eine bundesweite Bekanntheit erlangt). Populistische Ausfälle gegen einzelne Bevölkerungsgruppen, etwa gegen Migranten, sind hingegen nicht sein Stil. In diesen Grenzbereichen war hingegen sein (verstorbener) Parteifreund Jürgen W. Möllemann als Wahlkämpfer unterwegs, und auch manche CDU / CSU -Politiker fischen hier und da gerne mal »am rechten Rand«. Das mag man abstoßend finden und auch gefährlich, weil man solches Gedankengut (»zu viele Ausländer«, »zu viele Sozialschmarotzer«) damit salonfähig macht. Andererseits kann es gelingen, bestimmte Wähler einzubinden, die andernfalls womöglich zu den wirklich radikalen (außerparlamentarischen) Gruppen abwandern würden. In diesem Sinne meinen Parteistrategen, dass ein »dosierter« Populismus sogar eine demokratische Funktion haben kann. Für viele Demokraten war die Grenze allerdings überschritten, als die hessische CDU unter Roland Koch 1998/99 einen regelrechten Anti-Ausländer-Wahlkampf initiierte, aufgehängt an den Gesetzesplänen der neu gewählten rot-grünen Bundesregierung zur Reformierung des Staatsbürgerschaftsrechts (Rot-Grün wollte die Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft erweitern, darüber wird übrigens bis heute debattiert). Über Zuwanderungsgesetze und Staatsbürgerschaft kann man natürlich eine kontroverse politische Diskussion führen, und es muss erlaubt sein, dabei unterschiedliche Meinungen zu vertreten, ohne direkt in die »rechte Ecke« gestellt zu werden. Die hessische CDU erweckte aber 1999 aus reinen Wahlkampfmotiven heraus den Eindruck, dass da quasi Millionen Menschen das Deutschtum gefährden würden, und starteten eine Unterschriftenaktion. An den CDU

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