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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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sagte – geschenkt. Man nimmt ihm gerne ab, dass er ein besonderes Verhältnis zu Deutschland hat, und die Art, wie er das »verkaufte«, war charmant und durchaus »vertrauensbildend«. Immerhin hätte er nach seinem Amtsantritt tatsächlich nicht so frühzeitig nach Deutschland reisen müssen. Da gibt’s ja genug andere Länder. Insofern: Thank you for the compliments, Mr. Kerry! Drollig wurde es dann aber, seine Körpersprache zu beobachten. Irgendein Coach muss ihm eingebläut haben, dass er den globalen Führungsanspruch der USA dringend mit entsprechenden Gesten untermalen muss. In jeder, wirklich jeder vom Fernsehen abgefilmten Szene sah man Mr. Kerry mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger neben seinen Gesprächspartnern stehen, Marke »hier geht’s lang«. Ich stand im heute-journal -Studio, während unser Korrespondentenbericht aus Berlin lief, und musste irgendwann lachen, weil das so auffällig penetrant wurde: die »aktive Gestik« des neuen amerikanischen Außenministers.
    »Heißes Herz statt Hose voll«
    Vom ehemaligen US -Präsidenten Clinton wird übrigens behauptet, dass er eine spezielle Art hatte, vor laufenden Kameras Hände zu schütteln. Er ergriff, so heißt es, rasch den Arm seines Gegenübers und drückte ihn herunter, sodass seine eigene Hand beim Handshake dominant »oben« war.
    Aber auch deutsche Politiker nehmen Einfluss darauf, wie sie abgebildet werden. Sie lassen sich zum Beispiel ungern dabei filmen, wie sie eine Treppe heruntergehen oder im Aufzug »nach unten« fahren. Und von Kanzlerin Merkel heißt es, dass sie es nicht leiden kann, von der Seite gefilmt zu werden, weil sie das unvorteilhaft findet. Helmut Kohl wiederum unterstellte Fotografen und Kamerateams, dass sie ihn bewusst »von unten« abbildeten, was Menschen nicht nur dicker wirken lässt, sondern auch arrogant (»von oben herab«). Da dürfte allerdings ein gutes Stück Paranoia im Spiel gewesen sein, wie oft im Verhältnis zwischen Politik und Medien. Im täglichen Berliner Gewühl mit seiner ständigen Hektik sind Fotografen und Kamerateams oft schon froh, wenn sie überhaupt freie Sicht auf die politischen Protagonisten haben, und knipsen dann hastig, was das Zeug hält. Gestikuliert die Kanzlerin, wird noch eifriger geknipst, weil ein Bild in Bewegung besser ist als ein starres, langweiliges Bild. Mit gezielter Manipulation hat das wenig zu tun. »Interessante« Bilder sind am Ende häufig Zufallsprodukte. Dass sich Kameraleute auf den Boden werfen, weil sie einen Kanzler oder eine Kanzlerin von vornherein »dick« oder »arrogant« aussehen lassen wollen, dürfte eher die Ausnahme sein. Aber wenn man blöde Fotos von sich in der Presse sieht (ist mir selbst auch schon so gegangen), vermutet man schnell alle möglichen Absichten. Bei den Bildredakteuren, die aus der Flut von Fotos auswählen, mag das sogar zutreffen; die suchen halt nach einem »passenden« Foto, das eine Geschichte gut illustriert, auch wenn es völlig aus dem Zusammenhang gerissen ist. Diejenigen, die vor Ort dicht gedrängt nebeneinander stehen und filmen und fotografieren, machen sich darüber allerdings meist weniger Gedanken. Sie legen los, achten auf Licht und Mimik und Gestik und hoffen, dass irgendein »guter Schuss« dabei ist. Und das eine Bild, das entlarvend wirkt, ist meist durch Zufall entstanden, nicht durch bösartige Manipulation.
    Auf der anderen Seite bemühen sich Politiker eifrig, »Bilder zu liefern«. Da werden Wahlplakate enthüllt, nur damit Kamerateams das ablichten. So stehen morgens in Berlin drei müde Spitzenpolitiker vor einem Plakat, das nirgendwo sonst in der Republik aufgestellt wird. Um sie herum stehen 50 Kamera- und Fotografenteams und ein paar Volontäre (Journalisten-Azubis), denen von ihrer Redaktion gesagt wurde: »Fahr da morgen früh mal hin und frag, wofür das Ding steht, damit wir einen O-Ton haben.« Keinen begeistert das sonderlich, aber in sämtlichen Nachrichtensendungen tauchen die Bilder von der Plakataktion auf, einschließlich der Politikerzitate.
    Es gehören aber auch ganz persönliche Eigenschaften dazu, um im Fernsehen sympathisch zu wirken. Vor allem muss man gut reden können: eher kurze Sätze, eher prägnant, auch witzig sein hilft. Wenn der SPD -Politiker Franz Müntefering sagte: »Besser heißes Herz als Hose voll«, dann verstand jeder sofort, was er meinte. Sein parteiinterner Konkurrent Kurt Beck sprach bei Fernsehauftritten hingegen häufig sehr verschachtelt und etwas

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