Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
anderen deutsche Landesbanken nicht daran hinderte, am großen Rad mitdrehen zu wollen und gerne solche Papiere aus den USA zu kaufen. In der Fachzeitung Financial Times Deutschland erschien dazu schon im August 2007 ein wunderbarer Artikel, der das Finanzgebaren der öffentlich-rechtlichen Landesbanken mit der Muppets-Show verglich, in der sich Miss Piggy & Co plötzlich in einem Raumschiff wiederfanden: Genauso unwissend wie »Schweine im Weltall« hätten die staatlich beaufsichtigten Institute agiert, bei ihrem Versuch, »global players« zu sein. Und US -amerikanische Journalisten wunderten sich darüber, wie spielerisch Investmentbanker an der New Yorker Wallstreet ihre Ramschpapiere nach Deutschland verticken konnten, mit dem Hinweis »Oh, you know, these guys in Düsseldorf buy anything«. Mit »these guys in Düsseldorf« war die WestLB gemeint. Die WestLB gibt es mittlerweile nicht mehr, was ein schönes Beispiel dafür ist, dass staatlich kontrollierte Unternehmen oder Banken gegenüber den »Verwerfungen der Märkte« keineswegs besser aufgestellt sind als privatwirtschaftliche. Genau genommen hat es die Landesbanken in Deutschland durch die Finanzkrise sogar am schlimmsten getroffen. In ihren Aufsichtsräten traf sich offenbar eine geballte Inkompetenz.
2007 platzte die amerikanische Immobilienblase. Es wurde offensichtlich, in welch großem Stil auf Sand gebaut worden war. Eine Reihe Finanzunternehmen, die sich auf Immobilienkredite spezialisiert hatten, gingen pleite. Die Zinsen für Immobilien stiegen sprunghaft an, zugleich schwächelte die US -Wirtschaft. Viele Banken mussten feststellen, dass sie viel zu viele Papiere hielten, die auf Immobilienkrediten basierten und die nun nichts mehr wert waren. Im September 2008 erreichte die Krise ihren Höhepunkt, als die US -Investmentbank Lehman Brothers pleiteging. Dass ein großes Traditionshaus einfach verschwindet und der Staat nicht hilft (die US -Regierung hatte eine Rettung abgelehnt), löste einen Schock aus – vor allem in der Bankenwelt.
Das Problem dabei ist, dass Banken keine normalen Unternehmen sind. Sie sind eng miteinander verbunden, und ihr Wohl und Wehe hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Geht zum Beispiel ein einzelner Maschinenhersteller pleite, ist das bitter für die Menschen in einer Region, die ihre Arbeitsplätze verlieren, und es ist auch bitter für die Zulieferbetriebe, die sich um ein Großunternehmen herumgruppieren. Aber es gibt keine dramatischen landesweiten oder gar weltweiten Folgewirkungen. Das war bei der Pleite der Lehman-Bank anders. Nicht nur, dass zahlreiche Anleger weltweit (darunter übrigens auch ganz normale deutsche Sparer) viel Geld verloren, weil sie Lehman-Zertifikate besaßen, die nun nichts mehr wert waren. Hinzu kam, dass die Banken plötzlich untereinander keinen Kredithandel mehr betrieben, weil jeder jedem misstraute. Auch Spekulanten fragten sich, wer wohl als Nächster pleitegehen würde, und verschärften damit das Problem. Das Kreditgeschäft brach regelrecht ein – ohne Kredite und funktionierenden Bankenhandel kann aber eine Volkswirtschaft nicht funktionieren.
Zu allem Überfluss geriet noch das riesige US -Unternehmen AIG , der weltgrößte Versicherer, unter Druck. Was geschehen wäre, wenn auch AIG pleitegegangen wäre, mag man sich ungern ausmalen. Die US -Regierung jedenfalls wollte das nicht riskieren und rettete den Versicherungsgiganten. Das gesamte Finanzsystem stand vor einem Kollaps, die Wirtschaft brach ein – nicht nur in den USA . Die Krise sprang auf Europa über. Auch in Deutschland schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt dramatisch, und Banken, die zu hohe Risiken eingegangen waren und faule Finanzpapiere hielten, standen vor dem Aus.
Im Herbst 2008 blickten die Bundeskanzlerin und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück in einen Abgrund. Sie befürchteten, dass die Deutschen anfangen würden, ihre Sparkonten leer zu räumen, aus lauter Angst, dass es ihnen sonst genauso gehen könnte wie den Kunden der Lehman-Bank. Also traten Merkel und Steinbrück vor die Presse und garantierten, dass notfalls der Staat für alle Spareinlagen haften würde, niemand brauche sich Sorgen zu machen. Ob der deutsche Staat das tatsächlich hätte leisten können, weiß man nicht. Glücklicherweise behielten die deutschen Sparer aber die Nerven, es gab keinen »Bankenrun«. Dafür begann die Zeit der Bankenrettung. Der Schock über die Folgen der Lehman-Pleite saß allen Regierungen
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