Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
zu wenig Steuern eingenommen wurden usw. – das stimmt zwar alles. Aber all das über Nacht zu ändern, ist unmöglich.
Auch in Deutschland stürzte seinerzeit die Regierung Schröder über die Hartz- IV -Reformen, weil sie hart waren und Massenproteste auslösten.
Gerhard Schröder konnte damals die Verantwortung auch nicht auf andere abwälzen. In der Euro-Krise geht das hingegen schon – die Regierungen der Krisenländer verweisen auf »Europa« und vor allem auf das mächtige Deutschland, das ihnen diese harten Auflagen »diktiere«.
In Deutschland wiederum wäre es den Wählern nicht vermittelbar, Geld ans Ausland zu verleihen, ohne solche Bedingungen zu stellen. Also bleibt der deutsche Finanzminister oder die deutsche Kanzlerin bei Verhandlungen betont hart, um die deutschen Steuerzahler zu beruhigen. Die Regierungschefs der Krisenländer ihrerseits gehen am Ende der Verhandlungen in Brüssel nach Hause und sagen: »Wir konnten nicht anders, tut uns leid, aber Deutschland hätte uns sonst keine Kredite gewährt.« Das sorgt natürlich nicht für Deutschfreundlichkeit.
Hinzu kommt die Gefahr, dass die Krisenländer sich tatsächlich »totsparen«, wie viele Kritiker befürchten. Gerade wenn es einem schlecht geht, können harte Sparmaßnahmen die Wirtschaft noch weiter nach unten ziehen. Langfristig helfen Reformen und vernünftiges Haushalten, aber auf dem Höhepunkt einer Krise verschlimmert das Sparen die Situation noch. Die Alternative – noch mehr Schulden zu machen, also Schulden mit Schulden zu bekämpfen – kann’s aber auch nicht sein. Das Vertrauen der Finanzmärkte würde damit jedenfalls nicht zurückgewonnen. Und darauf kommt es ja entscheidend an, wenn man nicht bankrott gehen will. Alles in allem ein schlimmes Dilemma, das die Stimmung in Europa vergiftet und sich schwer lösen lässt.
Wären Staatspleiten besser?
Wäre es unter diesen Umständen nicht vielleicht doch besser, Länder wie Griechenland oder Zypern träten aus dem Euro aus? Wobei Euro-Austritt und Staatspleite nicht notwendigerweise identisch sind. Aber um es nicht noch komplizierter zu machen, nehmen wir an, dass Pleite und Euro-Austritt Hand in Hand gehen – was auch ein durchaus wahrscheinliches Szenario wäre.
Zunächst muss man sich fragen: Wie soll so ein Rausschmiss oder Austritt überhaupt vonstatten gehen? Rein rechtlich kann die EU einem Euro-Land die Mitgliedschaft im Währungsclub nicht kündigen. Auch gibt es kein Verfahren dafür, wie ein Staat freiwillig austreten könnte. Genauso wenig ist ein ordentliches Insolvenzverfahren für Staaten vorgesehen. Sie sind pleite, wenn sie zahlungsunfähig sind. Die anderen EU -Länder müssten ein Krisenland also »fallen lassen«, ihm nicht helfen, bis es keine Kredite mehr auf den internationalen Kapitalmärkten bekommt, die Zinsen für Altschulden nicht mehr zahlen kann und schließlich erschöpft die Hand hebt: »Nichts geht mehr – wir sind pleite.«
Aber so weit will man es bei keinem Euro-Land kommen lassen. Sogar Zypern, so heißt es, sei »systemrelevant«. Da konnte man sich in der Tat die Augen reiben. Echt jetzt? Diese kleine Insel, noch nicht mal eine ganze Insel, sondern nur eine halbe (denn nur die griechische Republik Zypern gehört ja zur EU ), soll die Weltwährung Euro gefährden? Denn genau das bedeutet ja die Einordnung als »systemrelevant«: Man ist so wichtig, dass der eigene Untergang alle anderen mit in den Abgrund reißen würde! Zypern hat bestenfalls die Wirtschaftskraft einer mittelgroßen deutschen Stadt. Wie schwach ist die europäische Währung, wenn sie nicht mal eine Zypern-Pleite verkraften würde?
Klare Antwort: Natürlich hätte der Euro einen Austritt Zyperns beziehungsweise eine Staatspleite Zyperns verkraftet. Und weil das alle wussten, wurde mit Zypern so besonders hart verhandelt, als es um Hilfe bat. Man konnte ein Exempel statuieren. Alle (kleinen) Länder mit einem »fragwürdigen Geschäftsmodell« – sprich: alle Steueroasen – wussten von da an, wem die Stunde geschlagen hat. Der Regierungschef von Malta kehrte kreidebleich vom europäischen Zypern-Gipfel im März 2013 zurück, und sogar die bis dahin sehr selbstbewussten Luxemburger mit ihrem enorm großen Bankenplatz wurden plötzlich kleinlauter.
Außerdem wurden erstmals die Bankkunden an einer Staatsrettung beteiligt: Wer mehr als 100000 Euro bei zyprischen Banken angelegt hatte, musste einen Teil abschreiben, wurde also regelrecht enteignet. Das werden
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