Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
europäischen Kollegen finden. Ein Gipfel jagt den nächsten, die Finanzmärkte reagieren oft unberechenbar, und keiner hat eine Kristallkugel. Man möchte ungern in der Haut derjenigen stecken, die in diesen Zeiten Verantwortung tragen – für einen ganzen Kontinent.
Insider-Vokabeln aus Brüssel
Bad Bank Der Begriff tauchte in der weltweiten Finanzkrise ab 2007 auf, als auch in Deutschland Banken gefährlich ins Wanken gerieten. Inzwischen ist Bad Bank ein fester Bestandteil des europaweiten Polit-Sprech-Vokabulars. Gerät eine Bank ins Schleudern, gibt es zwei Möglichkeiten: Man lässt sie pleite gehen – das hat sich seit der Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers aber als höchst riskant erwiesen, und der Schreck über die weltweiten Folgen sitzt tief. Also dachte man sich eine andere Variante aus. Man macht aus einer Bank zwei Banken und verfährt dabei nach dem Aschenbrödel-Prinzip: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Gut ist alles, womit die Bank in Zukunft hoffentlich weiter Erfolg haben kann, ihr gesunder Geschäftsbereich also. Schlecht ist alles, womit sie nur noch Verluste macht: Finanzpapiere, die nichts mehr wert sind, Kredite, die sie vermutlich nie zurückgezahlt bekommt, der ganze kranke Ramsch, der ihr so gefährlich über den Kopf wuchs. Der wird ausgelagert in die Bad Bank. Für die haftet dann der Staat. Das ist zwar ärgerlich, aber, so das Argument, immer noch besser als eine landesweite oder europaweite Bankenkrise zu bekommen, weil alle hysterisch auf die Pleite einer Einzelbank reagieren.
Bail out Als der Euro eingeführt wurde, wurde fest versprochen und sogar vertraglich festgelegt, dass es in der EU kein Bail-out geben würde. Ha! Zu viel versprochen! »To bail out« sagt man im Englischen, wenn man jemanden auf Kaution aus dem Gefängnis holt, im übertragenen Sinne heißt das auch »jemandem aus der Patsche helfen«. Bezogen auf die EU ist damit gemeint, dass Staaten, die eine unsolide Haushaltspolitik betreiben, sich nicht darauf verlassen dürfen, dass die anderen Staaten ihnen aus der Patsche helfen, also ihre Schulden mit übernehmen (»vergemeinschaften«). Ganz ausdrücklich ist das sogar verboten. Jeder muss selbstverantwortlich handeln. Tja. So steht’s auf dem Papier. Gemacht wird es jetzt trotzdem, auch wenn es offiziell nicht so genannt werden darf.
Beichtstuhl Ein Begriff aus der europäischen Diplomatie. Bei EU -Gipfeln versucht natürlich jedes Land, seine eigenen Interessen durchzusetzen, deshalb gibt es immer ein großes Geschacher. Einer muss dabei als Verhandlungsführer agieren. Früher war das der Regierungschef, der gerade die Ratspräsidentschaft innehatte und das Treffen als Gastgeber organisierte. Inzwischen hat diese Aufgabe der ständige Ratspräsident übernommen, und auch der Kommissionspräsident mischt mit. Sie müssen herausfinden, wo mögliche Kompromisse liegen. Dazu werden vertrauliche Gespräche mit jedem einzelnen Staats- und Regierungschef geführt. Sie werden dafür »im Beichtstuhl ins Gebet genommen«. Der Ratspräsident fordert sie auf, unter vier Augen so ehrlich zu sein wie in der Kirche die Katholiken gegenüber dem Pfarrer, wenn sie beichten. Natürlich muss man dann auch vertrauenswürdig auftreten, also ein »ehrlicher Makler« sein (auch so ein Begriff aus der internationalen Diplomatie). Nur so kann man rauskriegen, wo eine Regierung bereit ist, anderen Ländern vielleicht doch ein bisschen mehr entgegenzukommen, obwohl sie öffentlich so tut, als sei ihre Schmerzgrenze bereits erreicht und kein weiterer Kompromiss möglich. Der Beichtstuhl ist in dem Fall allerdings nur ein Bürozimmer, man geht nicht gemeinsam in die Kirche. Obwohl ein paar Gebete bei manchen Gipfeln vielleicht helfen würden.
Blauer Brief In der Schule bekommt man bekanntlich einen blauen Brief, wenn man so schlechte Noten hat, dass man versetzungsgefährdet ist. Darüber sollen die Eltern rechtzeitig informiert werden. Früher wurde diese Mitteilung auf amtlichem bläulichem Briefpapier verfasst, deshalb heißt das so. Im Brüssel-Jargon ist damit gemeint, dass ein Land eine Warnung von der EU -Kommission bekommt, wenn es zu viele Schulden macht. Weil befürchtet wird, dass es die gemeinsamen Obergrenzen für die Verschuldung nicht einhält, die sogenannten Maastricht-Kriterien. Wer dagegen verstößt, bekommt erst aus Brüssel eine Warnung (eben den blauen Brief), und wenn sich die Lage nicht bessert, kann notfalls
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