Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
profitiert hat: Nicht nur, weil wir Zinsen für unsere Kredite an andere Euro-Länder kassieren. Der größte Vorteil besteht bisher darin, dass Deutschland in der Krise erst recht als »sicherer Hafen« gilt und damit sehr attraktiv für ausländische Anleger ist. Dem Bundesfinanzminister werden deutsche Staatsanleihen regelrecht aus der Hand gerissen. Je mehr Krise anderswo herrscht, umso leichter ist es für Deutschland, Kredite zu bekommen und seine eigene Staatsverschuldung zu finanzieren.
Aber bleibt das so? Die Risiken der Euro-Rettung, die vielen Bürgschaften und Kredite, könnten auch Deutschland in den Abgrund reißen. Also ist das ganze Euro-Projekt vielleicht doch auf Sand gebaut? Ging es uns mit der D-Mark nicht besser? Ja, sagen die Euro-Skeptiker. Wir haben auch zu D-Mark-Zeiten exportiert, wir hatten eine sichere Währung, wir mussten andere Staaten nicht retten, und wir wurden nicht wegen irgendwelcher Spardiktate gehasst. Das sind durchaus gute Argumente!
Dem gegenüber stehen aber eine Reihe mindestens so starker Gegenargumente: All die Vorteile, die der Euro-Raum bietet, wären hinfällig. Es gäbe wieder ein Wechselkurs-Risiko und entsprechende Umtauschkosten, der innereuropäische Handel würde vermutlich deutlich zurückgehen, der Vorteil des großen gemeinsamen Währungsraums in einer globalisierten Welt ginge flöten, Europa wäre für Investoren weniger attraktiv, das Preisniveau in Europa würde wieder ansteigen, die D-Mark massiv aufgewertet, deutsche Exporte wären damit schlagartig viel teurer.
Die Welt ist in den letzten zehn Jahren nicht stehen geblieben, die weltweite Konkurrenz stärker geworden. Es ist insofern auch etwas leichtfertig, darauf zu verweisen, dass es »früher mit der D-Mark doch auch klappte«. Das stimmt, aber früher ist eben nicht heute. Wer eine teure Währung hat, muss an anderer Stelle sparen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, zum Beispiel bei den Löhnen. Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft könnten schlimm sein, schlimmer als jedes Rettungspaket für Griechen oder Portugiesen. Als Kreditgeber würde Deutschland bei einem Ende des Euro außerdem herbe Verluste erleiden. Das Geld wäre entweder ganz weg, oder es würde durch die Schwäche der anderen Währungen und höhere Inflationsraten in Europa faktisch entwertet.
Noch schwerer könnte am Ende aber wiegen, dass sich in ganz Europa das Gefühl breitmacht, mit seinem wichtigsten und ehrgeizigsten Projekt gescheitert zu sein. Ist das nur Gefühlsduselei? Darüber kann man streiten. Ich persönlich glaube, dass die europäische Depression nach einem Scheitern des Euro noch viel größer wäre als jetzt, bei aller Krisenangst und trotz des Ärgers über deutsche Spardiktate. Und ist der Euro erst gescheitert, dann kommt er auch so bald nicht wieder. Das war’s erst einmal mit der Vertiefung der europäischen Integration!
Man muss sich also entscheiden, welches Risiko man für größer hält: die Risiken der Euro-Rettung oder die Risiken des Euro-Untergangs. Es gibt da keine absoluten Wahrheiten. Es gibt nur den Blick in die Kristallkugel. Ich glaube, dass mit dem Ende des Euro eine massive Vertrauenskrise in die EU insgesamt einhergehen würde. Selbst wenn ein paar Länder als kleiner Euro-Club weitermachen würden, wäre das Projekt insgesamt schwer beschädigt.
Ganz am Anfang hätte man die Chance gehabt, es so zu machen: Nur ein Kerneuropa mit gemeinsamer Währung vorangehen lassen und den Eintritt neuer Mitglieder viel strenger überwachen. Es lief aber nun mal anders. Jetzt ist eine große Währungsfamilie entstanden – sie zerbrechen zu lassen, erscheint mir ökonomisch und politisch riskanter, als den Laden zusammenzuhalten. So oder so: Man kann nur hoffen, dass die Sache glimpflich ausgeht und aus den Schocks dieser Jahre Lehren gezogen werden.
Für die europäischen Politiker ist dieses hektische Krisenmanagement enormer Stress. Auch sie können nicht wissen, ob sie wirklich das Richtige tun. Eine gemeinsame europäische Währung hat es vorher in vergleichbarer Form nie gegeben; damit ist es schwierig, aus anderen historischen Währungskrisen Schlüsse zu ziehen. Sich Rat bei Wissenschaftlern zu holen, ist zwar sinnvoll – aber die Wissenschaftler sind sich uneins. Und selbst wenn der deutsche Finanzminister sich ganz sicher wäre, dass er mit dieser oder jener Meinung richtigliegt, kann er seine Sicht trotzdem nicht einfach durchdrücken, sondern muss Kompromisse mit den anderen
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