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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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uns! Warum müssen sie um die halbe Welt transportiert werden? Darin liegt der Unterschied zur Globalisierung der alten Römer: Sie holten sich aus fernen Ländern Waren, die sie zu Hause nicht bekamen. Die Globalisierung heute ist längst nicht mehr nur Handel, sondern Arbeitsteilung. Heute rechnet es sich, ein T-Shirt in Deutschland entwerfen zu lassen, es dann aber in Niedriglohnländern wie China, Taiwan oder Vietnam zu produzieren. Das ist so billig, dass es sich sogar noch auszahlt, die fertige Ware per Schiff oder Flugzeug um die halbe Welt zu schaffen. Umgekehrt heißt das auch: Eine Jeans in Deutschland zu nähen, ist wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll. Dienstleistungen lassen sich dagegen schwerer ins ferne Ausland verlagern. Aber auch das gibt es zunehmend. In den Callcentern britischer oder amerikanischer Firmen arbeiten zum Beispiel sehr viele Inder – und zwar in Indien. Die Telefonverbindungen werden dorthin umgeleitet. Da viele Inder hervorragend Englisch sprechen, besteht hier keine Sprachbarriere.
    Das alles hat gute und schlechte Seiten – je nach Perspektive. Einerseits bekommen unterentwickelte Länder eine Chance auf dem Weltmarkt. Das kann dazu führen, dass auch die Löhne in diesen Niedriglohnländern steigen. Chinas Arbeiter zum Beispiel sind längst nicht mehr so günstig zu haben wie noch vor zehn Jahren. Und China will auch nicht mehr nur die »verlängerte Werkbank« des reichen Westens sein. Immer häufiger gibt es auch in China Streiks und Proteste der Arbeiterschaft gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Solange sich die Proteste gegen ausländische Firmen richten, die in China produzieren, lässt die chinesische Regierung das auch zu. Derzeit können Hersteller auf andere Niedriglohnländer ausweichen, aber wer weiß, vielleicht ist irgendwann in ferner Zukunft auch damit Schluss … (Woher dann wohl die billigen Klamotten kommen werden?) Zugleich verlieren immer mehr Menschen in »Hochlohnländern« wie Deutschland ihre Jobs. Dann können sie zwar billiger T-Shirts kaufen als vorher, aber dafür sind mehr Menschen arbeitslos. Und die weltweite Konkurrenz drückt auch hierzulande auf die Löhne. Sie sind zwar immer noch sehr hoch im Vergleich zu dem, was Menschen in Bangladesch pro Arbeitstag verdienen. Aber dass es in Deutschland in den letzten Jahren wenig Lohnerhöhungen gab und schlecht ausgebildete Menschen große Schwierigkeiten haben, überhaupt Arbeit zu finden, hat mit eben diesem Wettbewerbsdruck der Globalisierung zu tun.
    Moderne Sklaven an der verlängerten Werkbank
    Das Billiglohn-Phänomen gab es übrigens zu Zeiten der alten Römer oder alten Ägypter auch schon: etwa bei den Sklaven, ohne deren Arbeit keine Pyramiden entstanden wären. Mit dem Unterschied, dass man sich damals diesen Nulllohnsektor praktischerweise ins eigene Land holte. Arbeitssklaven und Menschenhandel gibt es heute leider auch noch. Nur wie soll man im Einzelnen wissen, unter welchen Bedingungen das T-Shirt entstand, das bei uns im Laden liegt? Und wie sollen wir Firmen in Asien dazu zwingen, ihre Arbeiter keine giftigen Gase einatmen zu lassen?
    Direkt kann man das als Konsument natürlich nicht. Aber wir können deutsche oder internationale Firmen anprangern, wenn sie in fernen Ländern unter menschenunwürdigen Bedingungen produzieren lassen. Wir können also versuchen, unsere Sozialstandards zu exportieren und eine Weltöffentlichkeit herzustellen, die es nicht einfach hinnimmt, dass in Bangladesch Näherinnen verbrennen, weil in den Fabriken dort selbst minimalste Brandschutzbestimmungen nicht eingehalten werden. Und wir können von unseren Politikern verlangen, dass sie Druck ausüben. An solchen weltweiten Arbeitsstandards arbeitet zum Beispiel die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen. Vor dem Hintergrund einer Reihe verheerender Unfälle in Fabriken in Bangladesch hat die EU mit Strafmaßnahmen gedroht, wenn die Sicherheitsstandards in Bangladesch nicht verbessert werden. Solche Strafen könnten zum Beispiel erhöhte Zölle sein. Drei Dutzend internationale Handelskonzerne der Textilbranche haben außerdem ein sogenanntes Bangladesch-Abkommen unterzeichnet, in dem sie sich verpflichten, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Papier ist allerdings geduldig. Und sobald sich der Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit wieder wegdreht, lässt der Druck nach, tatsächlich etwas zu verändern.
    Bessere Arbeitsbedingungen wünscht sich die Näherin in Bangladesch natürlich

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