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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Militärische Ehren bekommen nur Staats- oder Regierungschefs. Im Prinzip ist das ein ziemlich veraltetes Ritual. Da präsentieren die Soldaten Gewehre, die keine Munition enthalten. Eine doppelte Botschaft sozusagen: »Ich könnte, wenn ich wollte, denn ich bin gut bewaffnet, aber wir sind ja nett zueinander und beschießen uns nicht.« Bei »Arbeitsbesuchen« (im Unterschied zu »Staatsbesuchen«) wird auf solche Zeremonien weitgehend verzichtet. Man hat ja schließlich zu tun.
    Im Grunde dienen all diese protokollarischen Feinheiten, bis hin zu exakt festgelegten Beflaggungen, dazu, dass sich alle Beteiligten »auf sicherem Gelände bewegen«. Man weiß, wie man sich zu benehmen hat. Ein bisschen wie bei privaten Besuchen: Man kommt auf keinen Fall zu früh, aber auch nicht mehr als 15 Minuten zu spät, andernfalls ist eine Entschuldigung fällig. Man bringt einen Blumenstrauß mit, weil sich das so gehört, den man vor der Übergabe korrekterweise vom Papier befreit hat, die Gastgeberin ist erfreut (»so ein schöner Strauß«) und kümmert sich ihrerseits höflicherweise sofort um eine Vase, anstatt die Blümchen einfach in die Ecke zu donnern, während der Gastgebergatte fragt: »Was kann ich euch zu trinken anbieten?« – und dann steht man erst mal eine Weile mit Glas in der Hand herum, bevor man »zu Tisch gebeten wird«. Wie der Rest des Abends verläuft, weiß man nicht, Exzesse sind möglich, aber erst mal haben alle ein gemeinsames Protokoll, an dem sie sich festhalten können.
    Nach vorne lächeln, intern lästern
    Intern sieht das durchaus anders aus. Im November 2010 wurden über die Internetplattform WikiLeaks über 250000 interne, teils als »geheim« oder »vertraulich« klassifizierte Diplomatenberichte der USA öffentlich. Da konnte man nachlesen, was und wie US -Diplomaten, etwa Botschafter, in die Heimat schreiben, wenn sie über ihr Gastland berichten – nämlich schönster Klartext, ohne jede diplomatische Verklausulierung. So meldeten die US -Diplomaten unter anderem nach Washington, dass Angela Merkel »selten kreativ« sei und als Angela »Teflon« Merkel bezeichnet würde. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle wurde als »inkompetent«, »aggressiv« und »eitel« beschrieben. Der afghanische Präsident Hamid Karsai sei »von Paranoia getrieben«, der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy »dünnhäutig« und »ein Kaiser ohne Kleider«. Der russische Ministerpräsidenten Putin wiederum sei ein »Alpha-Rüde«. Der türkischen Regierung wurde ein »Mangel an Sachverstand« attestiert und dem früheren libyschen Staatsführer Gaddafi eine Abhängigkeit von seiner ukrainischen Krankenschwester, die als »üppige Blondine« tituliert wurde.
    Für das Publikum war das ein köstlicher Blick hinter die Kulissen des Staatstheaters, für die betroffenen Diplomaten hingegen natürlich hochnotpeinlich. Die ganze diplomatische Maskerade fiel ja plötzlich ab. Da aber alle Regierungen wissen, dass ihre eigenen Diplomaten hinterrücks genauso lästern wie die amerikanischen, kam es nicht zum großen Eklat. Zumal man sich auch nicht von WikiLeaks vorführen lassen wollte, also machten alle betont gelassene Miene zum bösen Spiel.
    Die WikiLeaks-Enthüllungen warfen allerdings auch ein Schlaglicht auf die Frage, ob es nicht vielleicht doch ganz gut ist, dass es die Welt der Diplomatie gibt, in der man nach außen nicht alles ausspricht, was man denkt. Ist es wirklich hilfreich zu wissen, dass US -Diplomaten einen deutschen Außenminister »eitel« finden? Für den persönlichen Umgang zwischen Minister und Diplomaten ist das vermutlich nicht nützlich, insofern amüsiert es zwar, verbessert aber nicht die Beziehungen zwischen Ländern. Auch da gibt es wieder schöne Parallelen zu unser aller Privatleben: Muss man einer lieben Freundin ins Gesicht sagen, dass man ihren neuen Partner grauslig findet? Will der Kollege, mit dem man das Bürozimmer teilt, tatsächlich wissen, dass sein Eau de Toilette unangenehm riecht? Und wenn man eine Einladung kurzfristig absagt, ist die Notlüge, »man sei plötzlich erkrankt« nicht doch irgendwie angebrachter als die ehrliche Ansage: »Ich hab keine Lust«? Noch heikler ist es, wenn durch solche Enthüllungen Informanten in Gefahr gebracht werden. Die US -Diplomaten in Deutschland hatten natürlich nichts zu befürchten. Für den US -Botschafter war das alles zwar sehr unangenehm – beim Lästern ertappt zu werden, ist immer peinlich. In den

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