Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
WikiLeaks-Dokumenten wurden aber auch Informationszuträger in diktatorisch regierten Ländern benannt, mit denen US -Diplomaten heimlich Kontakt hatten. Für diese Leute war der Enthüllungsdrang von WikiLeaks schon deutlich gefährlicher. Fazit: Ehrlichkeit ist zwar ein hohes Gut, aber in der internationalen Politik ist es wie bei privaten Sozialkontakten: Schonungslos alles ins Gesicht gesagt zu bekommen, ist nicht immer hilfreich.
Wie immun sind Diplomaten?
Damit Diplomaten ihre im Stillen gewonnenen Erkenntnisse unbehelligt heimschicken konnten, erfand man das Diplomatengepäck. Das war natürlich weit vor WikiLeaks! Bis heute darf es nicht geöffnet, aufgehalten oder durchsucht werden. Offiziell haben sich alle Botschaftsangehörigen verpflichtet, darin nur erlaubtes Material zu verschicken. Aber wenn das wirklich immer der Fall wäre, könnte man die Sachen ja auch ganz normal verschicken und bräuchte keine Extrawurst … Andererseits will man eben nicht, dass fremde Regierungen immer alles über einen wissen, oder wissen, was man weiß. Diplomaten wollen sich mit ihrem Heimatland vertraulich austauschen können, ohne dass mitgehört oder mitgelesen wird. Die entsprechenden Regelungen können natürlich auch zu Missbrauch führen. Besonders dreist war in dieser Hinsicht der gescheiterte Versuch nigerianischer Behörden, 1984 einen ihrer ehemaligen Minister, der zur Opposition übergelaufen war, in London zu entführen und betäubt als »Diplomatengepäck« per Holzkiste in die Heimat zu holen. Im gleichen Jahr wollte ein sowjetischer Botschafter an der Schweizer Grenze einen ganzen Lastwagen mit neun Tonnen Ladung als »Diplomatenkoffer« deklarieren. Die Schweiz lehnte ab. Diplomatengepäck ist normalerweise ein mit Plastik beschichteter Seesack. Es können auch zwei oder drei sein, aber ein ganzer Lkw, das war dann doch zu viel des Guten.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, Botschaften seien »extraterritorial« – die US -Botschaft in Berlin gehörte also nicht zu Deutschland, sondern wäre ein Stückchen echte USA , die österreichische Botschaft wäre ein paar Quadratmeter Österreich, und deutsche Botschaften im Ausland wären eben umgekehrt deutscher Grund und Boden. Das stimmt aber nicht. Allerdings genießen Diplomaten »Immunität«, das heißt, sie dürfen im Gastland nicht wegen eines Verbrechens verurteilt werden. Die Botschaften stehen unter »besonderem völkerrechtlichem Schutz« und dürfen nicht einfach von der einheimischen Polizei durchsucht werden. Deshalb flohen 1989 viele DDR -Bürger auf das Gelände der westdeutschen Botschaften in Budapest, Warschau und Prag. Dass sie am Ende so behandelt wurden, als wäre ihnen tatsächlich die Flucht nach Westdeutschland gelungen, war aber Ergebnis zäher diplomatischer Verhandlungen und keine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit.
Dass Diplomaten ihre Strafzettel nicht bezahlen müssen und (angeblich) auch wegen eines Mordverdachts nicht verhaftet werden können, stimmt ebenfalls nicht – es ist nur schwieriger als bei normalen Leuten. Deshalb werden solche Vergehen in der Praxis oft unter den Tisch fallen gelassen; man will sich eben nicht in diplomatische beziehungsweise politische Verwicklungen verstricken. Wird ein Diplomat eines Verbrechens verdächtigt, spricht man üblicherweise erst mal mit der Regierung seines Heimatlandes und drückt seine »Irritation« aus. Dann muss das Heimatland sich der Sache annehmen. Schlimmstenfalls erklärt man einen Diplomaten zur »persona non grata«, zur »unerwünschten Person«. Das ist praktisch eine Ausweisung und in der Welt der Diplomatie ein starkes Stück. Auch Strafzettel müssen Diplomaten theoretisch bezahlen. Aber wenn sie es nicht tun, ist es ziemlich aufwändig, sie zu zwingen. In einem solchen Fall gilt: Wegen ein paar unbezahlter Parkzettel eine Staatenkrise zu riskieren, lohnt sich nicht. Also passiert nicht viel. Und so beschwert sich die Berliner Polizei schon mal darüber, dass in der Hauptstadt so viele Diplomaten und deren Familienangehörige alkoholisiert Auto fahren oder ihre schicken Wagen im Halteverbot abstellen.
Benimmregeln auf glattem Parkett
Das »diplomatische Protokoll« regelt, wer bei Reden zuerst anzusprechen ist, wer bei Staatsbanketten wo sitzt und so weiter. Das stammt, wie die militärischen Ehren, aus alten Zeiten und wirkt auch etwas gestrig, vor allem wenn es in die Details geht. Andererseits haben Traditionen manchmal auch einen Wert an sich, niemand
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