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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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dem Schluss kommen, dass dies angemessen ist angesichts der Bedrohung, die von einer bestimmten Gruppe für die Allgemeinheit ausgeht. Aber jeder sollte sich bewusst sein, was hier geschieht: Es geht immer aufs Neue um eine Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit.
    Gutgemeintes mit Nebenwirkung
    Oft stellt sich bei einem gut gemeinten Gesetz auch heraus, dass es gar nicht so gut wirkt wie erwartet beziehungsweise unschöne Nebenwirkungen hat. In dieser verzwickten Lage empfiehlt es sich, jene Frage zu stellen, die sich schon die alten Römer stellten: C ui bono? Wer profitiert? Es gibt fast immer eine Gruppe (häufig einen Wirtschaftszweig), der von einem neuen Gesetz besonders profitiert. Was nicht bedeutet, dass auf betrügerische Weise eine Verschwörung stattgefunden hat. Aber dass es Einfluss von Lobbyisten gab, das darf man getrost vermuten. Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz zur Wärmedämmung. Ausgangslage waren die Europäischen Richtlinien zum CO ₂ -Ausstoß. Der muss gesenkt werden. Also sucht die Politik nach Mitteln und Wegen, um das zu erreichen. So weit, so gut. Nun machen sich Fachleute Gedanken und bekommen dafür viele Anregungen von außen. Wenn man Häuser besser isoliert, dann hilft das, Energie zu sparen und – weil Heizungen CO ₂ ausstoßen – eben auch dieses umweltschädigende Abgas. In der Folge entstand die Energie-Einsparverordnung, ein höchst detailliertes Regelwerk zur Gebäudesanierung, das mittlerweile rund 1000 Seiten dick ist und große Aktivitäten nach sich zog: Seit den neunziger Jahren wurden hunderte Millionen Dämmplatten an deutsche Hausfassaden gepappt und diese vielen aufwändigen Sanierungen mit jeder Menge Steuergeld unterstützt. Inzwischen gibt es aber Studien, die die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen schwer in Frage stellen. Angefangen damit, ob die Emissionen in Wohnhäusern überhaupt richtig gemessen werden, über die ungewollte Nebenwirkung, dass Häuser anfangen zu schimmeln, weil sie zu gut isoliert sind, bis hin zu der Frage, ob das Ganze ökonomisch überhaupt sinnvoll ist. Die Kosten, die Hausbesitzer und Mieter tragen, übersteigen die eingesparten Heizkosten offenbar bei Weitem. Prompt tauchte der Verdacht auf, dass die staatlich geförderte Wärmedämmung vor allem der Bauwirtschaft nutzt. Und dass es da auch Einflussnahme gibt. Die Vorgaben der Energie-Einsparverordnung werden nämlich vom Deutschen Institut für Normung verfasst. Der Fachbereichsleiter in dessen zuständigem Bauausschuss arbeitet gleichzeitig für einen Dämmstoffhersteller …, und der Verantwortliche für die Wärmedämmstoffe ist zugleich Leiter des Forschungsinstituts für Wärmeschutz, eines Lobby-Vereins der Dämmstoffindustrie. Hm. Da kann man sich natürlich so seinen Teil denken. Am Ende bleibt die Frage: Dient das Gesetz wirklich dem Klimaschutz – oder ist es eher eine Art Konjunkturprogramm für die Bauwirtschaft?
    Ende 2012 trat wieder so ein gutgemeintes Zwittergesetz in Kraft, das Transplantationsgesetz. Ein schwieriges Thema, bei dem es um sehr persönliche und intime Entscheidungen geht. Das Problem an sich liegt auf der Hand: In Deutschland warten 12000 Patienten auf Herz, Niere oder Leber. Jeden Tag sterben drei von ihnen, weil Organe fehlen. Die Angehörigen von Menschen, die gerade den Hirntod gestorben sind, um eine Organspende zu bitten, ist gleichwohl schwer – und in einem solchen Moment werden viele sagen: Nein, das will ich jetzt nicht, ich will mich in Ruhe verabschieden können. Deshalb soll sich jeder vorab entscheiden, ob er im Falle eines Falles seine Organe zur Verfügung stellen will. Nicht als Vorschrift, sondern freiwillig. Die Krankenkassen sollen ihre Versicherten regelmäßig abfragen. In vielen anderen Ländern hingegen gelten sogenannte Widerspruchsregelungen, das heißt, wer nicht spenden will, muss diesen »Widerspruch« rechtzeitig kundtun. Zu so viel Vorschrift beziehungsweise Lenkung konnte sich der Bundestag aktuell wieder nicht durchringen, zumal gerade im letzten Halbjahr 2012 etliche Organspendenskandale Schlagzeilen machten, das Thema also nicht besonders positiv besetzt war. Korruption oder gar krimineller Organhandel würde allerdings gar nicht erst auftreten, wenn es ausreichend Spenderorgane gäbe. Nur bei knapper, begehrter Ware entstehen Schwarz- und Graumärkte. Da schließt sich der Kreis.
    Wenn man ein Gesetz erlassen will, gibt es also viel zu beachten:
    1. Wenn man etwas verbieten will, fühlen sich viele Gruppen

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