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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Journalismus und Wirtschaft Gefahren. Am Ende wurden aber doch Nichtrauchergesetze erlassen – und zwar nicht nur eines, sondern gleich sechzehn verschiedene! Jedes Bundesland hat eigene Rauchverbote ausgesprochen, die zum Teil höchst unterschiedlich sind und zu verschiedenen Zeiten in Kraft traten.
    Die Nichtrauchergesetze sind aber auch ein gutes Beispiel für den Grenzbereich zwischen Bürgerschutz und Volkserziehung. Ist der Qualm in einer Eckkneipe, in der auch der Wirt raucht, für Nichtraucher wirklich so schädlich, dass der Staat eingreifen muss? In den USA gibt es viele solcher Gesetze, die eher Handlungsanweisungen für gute Bürger zu sein scheinen, so darf man etwa in der Öffentlichkeit keinen Alkohol trinken, nicht einmal bei einem Straßenfest oder einem Picknick. Wollen wir auch in Deutschland eine Gesellschaft, in der man im Karneval keine Bierflasche mehr in der Hand halten darf, wenn man sich den Rosenmontagszug ansieht? Andererseits haben sich Sicherheitsgurte, hier wie dort, erst durchgesetzt, nachdem sie Vorschrift wurden. »Freiwillig« tut der Mensch generell wenig, was er als Einschränkung empfindet – was übrigens viel ausssagt über die Natur des Menschen … Natürlich ist es für jeden Einzelnen gut, einen Unfall möglichst zu überleben – aber wäre unsere Gesellschaft nicht ein wenig freier, wenn jeder selbst entscheiden könnte, ob er sich anschnallt oder nicht? Andererseits: Entstehen durch die schwereren Verletzungen ohne Sicherheitsgurte dem Gesundheitssystem nicht hohe Kosten, die wiederum alle tragen müssen? Konsequenterweise müssten dann aber doch auch Fahrradhelme oder Skihelme Pflicht werden (und das müsste übrigens auch kontrolliert werden …von einer Pistenpolizei?) Und was ist mit Süßigkeiten und Junkfood? Sehr ungesund! Wie wäre es mit Gewichtskontrollen? Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes verursachen ebenfalls immense Kosten. Und was ist mit Aids? Kondompflicht für alle? Wer kontrolliert das? Natürlich ist das jetzt total überspitzt formuliert und nicht ganz ernst gemeint. Und ich will auch ganz sicher nicht für eine Aufhebung der Gurtpflicht plädieren! Aber wo fängt man an mit den Vorschriften, wo hört man auf? Das ist eine interessante Frage. Zumal Verbote immer auch gesellschaftliche Nebenwirkungen haben. Sie fördern nämlich das Denunziantentum. Kneipenbesitzer verpfeifen sich zum Beispiel gegenseitig bei den Ämtern, wenn sie mitkriegen, dass der Konkurrent gegenüber seine Gäste in einem Hinterzimmer heimlich doch rauchen lässt. In meiner Heimatstadt Köln hat das in einem beliebten Ausgehviertel die Atmosphäre zwischen den Kneipiers ziemlich vergiftet. Außerdem gibt es immer mehr Beschwerden von Anwohnern, weil so viele Raucher vor den Kneiptentüren stehen und Krach machen. Also wird jetzt bereits darüber nachgedacht, ein weiteres Verbot einzuführen (Gastronomen sollen dafür sorgen, dass ihre Gäste nicht vor der Tür stehen). Das kann uns nun alles sehr egal sein, der Nichtraucherschutz ist wichtiger als solche Nebenwirkungen. Sie sind aber typisch: Ein Verbot kommt eben selten allein, und jedes Verbot muss kontrolliert werden, was dann gerne aufmerksame Zeitgenossen übernehmen …
    Weitaus gravierender als Diskussionen über Qualm, Gurte oder Helme sind die Einschnitte, die mit den vielfältigen »Anti-Terror-Maßnahmen« einhergingen. Dass Freiheit und Sicherheit zwei unterschiedliche Rechtsgüter sind, die in Konkurrenz zueinander stehen, wird in dem Zusammenhang besonders deutlich. Jeder Fluggast wird heutzutage wie ein potenzieller Terrorist behandelt. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht – es ist im Grunde eine Umkehr der Unschuldsvermutung, wenn Eltern beim Check-in belegen müssen, dass das Milchfläschchen ihres Babys unbedenklich ist, indem sie unter den aufmerksamen Augen des Security-Personals selbst einen Schluck davon nehmen. Noch bedenklicher ist, in welchem Ausmaß Daten gespeichert werden. Die Daten von Reisenden, von Internetnutzern, von Telefonaten … Gerade erst wurde enthüllt, in welchem Ausmaß der amerikanische Geheimdienst im Internet unterwegs ist und nicht nur er. Auch der deutsche Geheimdienst interessiert sich sehr für die Netzaktivitäten der Bürger. All das lässt sich natürlich mit Gefahrenabwehr begründen. Doch einer Gesellschaft sollte dabei schon klar sein, welche individuellen Freiheitsrechte die Mehrheit aufgibt, um eine terroristische Minderheit zu kontrollieren. Man kann zu

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