Kap der Finsternis: Roman (German Edition)
kommst du her? Zu uns?«
»Ja.«
»Versprichst du es?«
»Versprochen.«
KAPITEL 33
Carmen Fortune saß eine ganze Weile an dem Taxistand, sah die Minibusse hin und her rasen und hörte die typischen Caaape-Taaaaauuuuunnn -Rufe, während die Schaffner sie drängten einzusteigen. Carmen beachtete sie nicht weiter.
Es war immer noch hell, gerade erst sieben, und die Sonne ballerte auf die Cape Flats.
Sie erhob sich und ging einen Block weit, bis sie die Straße erreichte, in der sie aufgewachsen war. Protea Street. Sie zögerte, wollte schon umkehren, nahm dann aber allen Mut zusammen und näherte sich dem Haus ihrer albtraumhaften Kindheit. Ein kleiner, verwahrloster Ort, umgeben von einem durchhängenden Stacheldrahtzaun, wie Hunderte andere ringsum.
Carmen hatte das Haus nicht mehr betreten und nicht mit ihren Eltern gesprochen, seit ihre Mutter sie vor sechs Jahren rausgeworfen hatte. Carmen öffnete das Eingangstor und klopfte an die Tür.
Die Tür öffnete sich einen Spalt und sie sah das Gesicht ihrer Mutter. Sie unterdrückte das Verlangen wegzulaufen.
Ihre Mutter funkelte sie böse an. »Was willst du hier?«
»Ich möchte ihn sehen.«
»Wir wollen dich hier nicht. Geh zurück auf die Straße, da gehörst du hin.«
Ihre Mutter wollte die Tür schließen, doch Carmen hielt dagegen und zwang sie zurückzuweichen. Dann ging sie den Korridor entlang zum Elternschlafzimmer, ihre Mutter versuchte, sie aufzuhalten.
Carmen drehte sich um und sah sie an. »Stimmt es, dass er im Sterben liegt?«
Ihre Mutter sackte zusammen. »Ja. Er hat nicht mehr lange.«
»Dann habe ich das Recht, mich zu verabschieden.«
Ihre Mutter sagte nichts, blieb einfach nur mit hängenden Schultern stehen. Carmen betrat das Schlafzimmer, ohne anzuklopfen.
Ein Skelett mit grauer Haut und eingefallenen Augen lag da im Bett. Sie brauchte einen Moment, um dieses ausgemergelte Ding mit dem schwitzenden, stöhnenden Leib in Verbindung zu bringen, der sich Nacht für Nacht über ihren kleinen Körper gewälzt hatte.
Es war die Stimme, die die Erinnerungen zurückbrachte.
»Carmen. Du bist gekommen.« Die Stimme war zwar schwächer, aber es war immer noch dieselbe Stimme, die ihr widerwärtige Dinge ins Ohr geflüstert hatte, während er sie vergewaltigte. Das hier war ihr Vater, ja.
Sie trat näher, ragte neben ihm auf und starrte auf ihn hinab.
Er versuchte zu lächeln, mit dem nackten Zahnfleisch sah sein Mund aus wie ein Abfluss. »Carmie, der liebe Gott hat mein Beten erhört.«
»Ja? Hat er das?«
»Ich habe gebetet, du würdest kommen, um dich von mir zu verabschieden, bevor ich gehen muss.« Die Augen ihres Vaters waren voller Selbstmitleid und Angst.
Er streckte seine Hand nach ihr aus. Sie schlug sie weg und beugte sich ganz dicht über ihn. »Lass diesen Scheiß mit Gott, du Arschloch. Glaubst du wirklich, dass Gott dir jemals vergeben wird, dass du deine Tochter jahrelang vergewaltigt, sie zweimal geschwängert und sie dann rausgeschmissen hast?«
Sie sah die Furcht in seinen Augen, während sein eingefallener, zahnloser Mund nach Worten suchte. Ihre Mutter stand im Halbdunkel an der Schlafzimmertür. Carmen hörte sie scharf Luft holen.
»Wir beide wissen, dass du für das, was du mir angetan hast, in der Hölle verrotten wirst.« Carmen lachte ihm ins Gesicht und schob sich an ihrer Mutter vorbei durch die Tür. »Und du wirst auch noch deinen Teil abbekommen, du Schlampe.«
Auf der Straße holte sie tief Luft und beruhigte sich.
Als sie fortging, erschien ihr der Himmel blauer.
Disaster Zondi fuhr auf der Autobahn Richtung Flughafen. In der zunehmenden Dunkelheit erstreckten sich zu beiden Seiten die Hütten und schäbigen Häuser der Cape Flats.
Wie fühlte er sich jetzt, da alles vorbei war?
Ihm kam ein Wort aus dem Fernsehen in den Sinn: Sendeschluss. Fühlte sich das so an? Er musste zugeben, dass er erleichtert war, zugleich aber auch eigenartig niedergeschlagen.
Was hatte er erwartet?
Letztlich war es eine Frage des Schicksals. Auf Aktion folgt Reaktion. Jack Burn hatte sich ausgerechnet Kapstadt ausgesucht. Welchen anderen Verlauf hätte alles genommen, wenn er sich mit seiner Familie ins ruhigere Sydney abgesetzt hätte?
Rudolphus Arnoldus Barnard war zum großen Barbecue in den Himmel geschickt worden. Das schien ihm eine unschlagbare Pointe.
Zondi lachte.
Er ertappte sich beim Pfeifen, als er im Abflugterminal stand. Er durchlebte ein unerwartetes Gefühl, eine Empfindung, die ihm
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