Kap der Finsternis: Roman (German Edition)
musste sich schwer zusammenreißen, den Wagen anzulassen und zur Straße zurückzufahren.
Unterwegs weinte Matt sich in den Schlaf.
Meistens döste Benny Mongrel nachts auf der obersten Etage des Hauses, saß dort neben Bessie unter den Sternen. In dieser Nacht konnte er das nicht. Wieder und wieder ging er im Kopf die Szene durch, wie die Gang-Mitglieder der Americans in dieses Haus da hinaufkletterten wie zwei Affen. Und nicht mehr herauskamen.
Zum ersten Mal freute er sich darauf, bei Tagesanbruch abgeholt zu werden.
Als um kurz vor sechs morgens der Truck von Sniper Security angerattert kam, wartete Benny Mongrel bereits mit Bessie unten. Er half ihr auf die Ladefläche und setzte sich auf die Bank, Bessie neben sich. Der Truck holperte den Berg hinunter und fuhr einen Bogen um die Innenstadt von Kapstadt. Es war noch zu früh für die Rushhour, also fuhr der Fahrer mit hoher Geschwindigkeit durch die Straßen der Stadt, fort vom Tafelberg und seiner flauschigen Wolkendecke. Schon bald erreichten sie eine Gegend aus heruntergekommenen Fabriken und beengten Häusern, die dicht an den Eisenbahngleisen standen.
In dem Truck saßen vier weitere Nachtwächter. Benny Mongrel beachtete sie nicht. Er hatte keine Freunde gefunden bei Sniper Security. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass man vergisst, für sich selbst zu sorgen, wenn man sich um andere Leute Gedanken macht.
Benny Mongrel hatte sich durchs Leben geschlagen, seit er eine Stunde alt war, achtlos auf eine Müllkippe geworfen, wo er hätte sterben sollen, sein winziger, nackter Körper noch mit Blut und Schleim beschmiert. Er hatte aus Überlebensinstinkt in die Nacht hinausgeschrien und bis in den grauen, nieseligen Tagesanbruch hinein, als ein zerlumpter Trupp Obdachloser die endlose Fläche Müll nach etwas abgraste, das man noch gebrauchen konnte.
Er schrie, bis eine Obdachlose nach ihm griff und ihn unter einem Haufen verfaulender Knochen und Fischabfälle hervorzog und ihn an ihre Brust hob. Und dann schrie er nie wieder. Nie wieder.
So begann Benny Mongrels Prozession durch Waisen- und Armenhäuser. Irgendein kleiner Beamter hatte ihm den Namen Benjamin Niemand gegeben.
Mit elf Jahren lebte Benny Niemand auf der Straße. Er war zwölf, als er zu einer Gruppe Mongrels trat, die vor einer Kaschemme in Lotus River herumhingen und eine Gruppe Americans beobachteten, die auf der anderen Straßenseite Mädels anquatschten. Benny Niemand ging schnurstracks zu Chippies, dem Anführer der Mongrels, und sagte, dass er sich ihrer Gang anschließen wolle.
Sie lachten ihn aus, und Chippies gab ihm, halb im Spaß, ein Messer mit einer langen Klinge und zeigte zu der Gruppe Americans hinüber. »Siehst du den da mit dem Hut?«
Benny Niemand sah einen gedrungenen Mann von etwa dreißig Jahren, stark tätowiert, der sich an ein Gebäude lehnte, während er ein junges Mädchen zu sich zog. Benny nickte.
»Zeig ihm seine Mutter, dann kannst du ein Mongrel werden.« Chippies lachte und entblößte dabei seine fehlenden Vorderzähne. Er ging davon aus, dass der Junge das Messer zurückgab.
Stattdessen überquerte Benny Niemand die Straße, hielt das Messer dicht am Bein. Der tätowierte American hatte sich mit dem Mädchen in einen Hauseingang zurückgezogen, und seine Hand bewegte sich zwischen ihren Beinen. Benny Niemand klopfte ihm auf den Rücken.
Der American wirbelte zu ihm herum. »Was willst du?«
»Dir deine Mutter zeigen«, sagte Benny und schob dem American das Messer zwischen die Rippen. Er zog es wieder heraus, schaute zu, wie der sterbende Mann auf die Knie sank, hörte die Schreie des Mädchens und ging seelenruhig zu den Mongrels zurück. Das Messer gab er dem Anführer.
Seitdem war er Benny Mongrel. Er schlug sich mit seinem Köpfchen durchs Leben, und er entwickelte einen nahezu unfehlbaren sechsten Sinn. Er wusste immer, wann Ärger anstand.
Er und sein Messer waren allzeit bereit.
Der Truck kam mit einem heftigen Ruck zum Stehen, auf dem Hof von Sniper Security in Salt River. Bessie verlor den Halt und rutschte auf der Ladefläche weg, versuchte hektisch, sich auf dem glatten Metall festzukrallen. Einer der anderen Nachtwächter lachte, verstummte aber schnell, als er Benny Mongrels scharfen Blick bemerkte. Er half Bessie herunter. Ihre Hüften waren morgens immer schlimmer, und sie humpelte, als er sie zum Zwinger führte.
»Hey, Niemand.« Ishmael Isaacs, der Vorarbeiter der Schicht, stand auf der anderen Hofseite. Er wartete, dass Benny
Weitere Kostenlose Bücher